Philipp Klöckner ist Co-Host des erfolgreichen Podcasts „Doppelgänger Tech Talk“, in dem er gemeinsam mit Philipp Glöckler über aktuelle Themen im Zusammenhang mit Technologie-Unternehmen, Innovation und Marketing spricht. Seinen Status als einer der wichtigsten Digitalexperten Deutschlands hat Philipp unter anderem in seinen Rollen als Produktmanager und CMO bei Idealo und External Search Strategy Consultant bei der Rocket Internet SE erworben. Heute ist er außerdem Angel Investor und Mitglied des Supervisory Boards von HomeToGo.
Im Fireside Chat mit Schahab Hosseiny spricht Philipp Klöckner über den Aufbau und die Entwicklung des Doppelgänger-Podcasts – insbesondere mit Blick auf das Community-Management – den Wettstreit zwischen Meta und TikTok, die Auswirkungen aktueller geopolitischer Entwicklungen auf Big Tech, Cyber Security, Cloud-Computing und den E-Commerce und ob man Tech-Aktien aktuell verkaufen oder halten sollte.
Podcast mit Philipp Klöckner
Mario Rose: Herzlich willkommen, Philipp Klöckner.
Philipp Klöckner: Ich freue mich, hier zu sein.
Mario Rose: Philipp ist einer der bekanntesten Angel-Investoren und Advisor in Deutschland und er hat in den letzten 15 Jahren an über hundert Start-ups und Wachstumsunternehmen mitgewirkt. Davon haben es sogar ein gutes Dutzend in den Unicorn-Status geschafft, er kann also nicht ganz erfolglos gewesen sein. Philipp hat zudem zahlreiche internationale Marktplätze und Classifieds für Rocket Internet aufgebaut und ist zusammen mit Philipp Glöckler Co-Host des Podcasts „Doppelgänger Tech Talk“. Philipp, schön, dass du da bist und Schahab gleich in unserem Fireside Chat zur Verfügung stehst.
Vorher möchte ich den Fokus aber auf eine aktuelle Initiative eures Doppelgänger-Podcasts richten. Es geht dieses Mal nicht um Clubhouse, sondern um den weiterhin in der Ukraine stattfindenden Krieg. Mit eurem Podcast unterstützt ihr die Mission Lifeline. Kannst du uns davon berichten, was es damit auf sich hat, wie die Idee zustande kam und was ihr bisher erreicht habt?
Philipp Klöckner: Die Mission Lifeline ist eine NGO, die normalerweise in Seenot geratene Flüchtende auf dem Mittelmeer rettet. Wir haben nach einem Weg gesucht, aus der Ukraine flüchtende Menschen schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen und da Lifeline sich gerade sehr auf diese Arbeit konzentriert, schien uns das die beste Mittelverwendung zu sein. Gleichzeitig verfügen die über ein gutes Frontend, auf dem man komplikationslos spenden kann. Schließlich haben wir uns dazu entschieden, die Community, die wir mit dem Podcast aufgebaut haben, dazu zu nutzen, möglichst viele Spenden zu generieren und möglichst viele Menschen in Sicherheit zu bringen. Normalerweise geben wir uns Mühe, unsere Audience nicht zu sehr zu monetarisieren: Es gibt wenig Werbung und wir verkaufen kein Merchandise. Dieses Mal haben wir aber verkündet, dass alle, die über 500 Euro spenden, einen exklusiven und limitierten Hoodie erhalten. Wir wussten, dass sich das viele Hörer:innen wünschen und haben es bisher trotzdem nicht gemacht. Aber jetzt schien der passende Moment gekommen zu sein und mit der Aktion haben wir über 650.000 Euro gesammelt.
Mario Rose: Wow, fantastisch. Kann man sich weiterhin beteiligen?
Philipp Klöckner: Man kann jederzeit an die Mission Lifeline spenden. Wenn das jemand bisher nicht geschafft hat und uns nachträglich eine signifikante Spende vorweisen kann, treiben wir bestimmt noch einen Hoodie auf.
Mario Rose: Wunderbar, vielen Dank. Das ist eine tolle Initiative. Jetzt starten wir aber in den Fireside Chat und ich möchte meinen lieben Kollegen Schahab Hosseiny auf die Bühne bitten. Viel Spaß, Philipp und Schahab.
Philipp Klöckner: Dankeschön.
Video mit Philipp Klöckner
Podcasts als interaktives Medium – wie kommuniziert man mit einer wachsenden Zahl an Zuhörer:innen?
Schahab Hosseiny: Dankeschön, Mario. Heute wollen wir nicht über die dramatische Weltlage sprechen, aber noch einmal chapeau für die über 600.000 Euro. Das ist wirklich eine imposante Zahl. Ihr scheint euch in kurzer Zeit eine sehr loyale Community aufgebaut zu haben – ansonsten würde man so eine starke Summe wahrscheinlich gar nicht zustande bekommen. Kannst du uns etwas zu euren Zuhörer:innenzahlen erzählen? Wie viele Leute hören bei euch wöchentlich zu?
Philipp Klöckner: Anfang des Jahres sind wir mit etwa 25.000 Hörer:innen pro Episode gestartet – das wollten wir im Laufe des Jahres verdoppeln. Die beste Episode bisher haben knapp unter 40.000 Leute gehört. Wir haben also mit dem Ostseestadion angefangen, jetzt sind wir im Fritz-Walter-Stadion und vielleicht schaffen wir es bis Ende des Jahres mit 80.000 Hörer:innen sogar bis ins Olympiastadion. Das wäre toll.
Schahab Hosseiny: Das ist Faktor 40 der Teilnehmenden der OMKB, ihr habt da also ein wahnsinniges Wachstum hingelegt. Philipp, kannst du uns etwas zu der Rolle von Discord erzählen? Ich folge euch auch und habe dementsprechend die Phase erlebt, während der ihr Signal ausprobiert habt. Das war die Geheimempfehlung von Edward Snowden, die inzwischen gar nicht mehr so geheim, sondern in der Breite angekommen ist. Ich hatte den Eindruck, dass ihr damit etwas rumexperimentiert habt, jetzt habt ihr euch aber auf Discord geeinigt und das scheint auch gut zu funktionieren. Warum habt ihr euch für diesen Channel entschieden und wie war eure Journey hin zu dieser Entscheidung?
Philipp Klöckner: Eigentlich haben wir einen Feedback-Kanal mit dem und für das Publikum gesucht. Der Podcast ist eben ein One-to-many-Sendemedium und wir wollten auch einen Kanal, mit dem wir Hörer:innen aktivieren können. Anfangs haben wir das mit Clubhouse probiert – das hat zeitweilig einigermaßen gut funktioniert, schien aber auch nicht perfekt zu sein. Im Rahmen von Clubhouse haben wir teilweise auch Telegram genutzt, wegen der geopolitischen Implikationen wollten wir das aber nicht langfristig nutzen. Signal erschien wie die nächstbeste Variante, weil es ein Secure-Messenger ist und es zunächst den Anschein hatte, als könnte man mit ganz vielen Leuten darin kommunizieren. Sichere End-to-End-Verschlüsselung funktioniert aber so, dass alle Nachrichten an alle Nutzenden komplett verschlüsselt sind. Zudem haben die Gruppen eine Begrenzung von 1.000 Personen, die wir sofort gerissen haben. Wenn man dann also 1.000 Leute in einer Signal-Gruppe hat, frisst das unfassbar viel Rechenzeit und Ladekapazität des Smartphones. Man muss sich vorstellen, dass bei jeder Nachricht zwei hoch tausend Ver- und Entschlüsselungen passieren. Deswegen schien das auch nicht der richtige Use Case zu sein und es blieben Slack und Discord übrig.
Slack hätten wir sicherlich auch nutzen können, aber wir haben uns für Discord entschieden, weil wir nicht in diesem Arbeitskontext stattfinden wollten.
„Discord ist vom Sign-up her relativ niedrigschwellig; es ist nicht schwierig einen Account anzulegen und es gibt dafür bereits eine Grundakzeptanz in der Gaming- und Kryptoszene.“
Discord hat außerdem alle Features, die wir brauchen und unterscheidet sich nicht wesentlich von Slack. Dementsprechend war das für uns die richtige Möglichkeit, um uns sortiert in verschiedenen Channels und Themen mit den Nutzenden austauschen zu können und den Nutzenden gleichzeitig ein Forum zu bieten, um sich untereinander austauschen zu können. Wir sind da beide täglich aktiv und wenn man uns dort schreibt, erhält man in der Regel innerhalb von 24 Stunden eine Antwort. Aber vor allem können sich die Nutzenden da gegenseitig helfen und dadurch ist eine tolle Eigendynamik entstanden. Damit gehen auch einige Moderationspflichten einher, die halten sich aber in Grenzen, denn wir haben eine sehr soziale und anständige Community.
Schahab Hosseiny: Würdest du rückblickend betrachtet weiterhin auf Discord setzen oder hättet ihr gerne noch ein weiteres Produkt getestet?
Philipp Klöckner: Wir sind momentan sehr zufrieden mit Discord. Ich sehe keine Limitierungen und es gibt unglaublich viele Bots und Add-ons, mit denen wir noch mehr Features einbauen könnten. Insofern scheint das aktuell die beste Variante zu sein. Discord ist auch mobilfähig und von unseren 5.000 Kanalmitgliedern sind 300 eigentlich ständig online und aktiv. Daraus schließen wir, dass das die richtige Entscheidung war.
Schahab Hosseiny: Wir hatten heute auch Andre Alpar auf der Bühne, der gesagt hat, dass Discord auch im Marketing Potenzial hat. Siehst du für Unternehmen auch eine Opportunity darin, in dieser für den deutschsprachigen Raum sehr frühen Phase in Discord reinzugehen? Es hat natürlich gewisse Eigenheiten und keine Advertising-Möglichkeiten. Oder meinst du, dass das ein sehr spezifisches Produkt ist, das für das Community-Management durchaus funktionieren kann?
Philipp Klöckner: Gerade, wenn man eine sehr junge, internetaffine Audience hat, ist Discord einer der besten Wege, um authentisch mit der Audience in Kontakt zu treten. So machen das auch einige Hersteller:innen von Sportartikeln und Nahrungsergänzungsmitteln und Lifestyle-Marken. Die NFT- und Kryptoszene basiert größtenteils auf Discord. Dabei entstehen Netzwerkeffekte zum einen innerhalb der Communities – je mehr Leute da drin sind, desto wertvoller wird die Community. Das trifft auch auf unsere Community zu. Es gibt aber auch übergreifende Netzwerkeffekte; alle Nutzenden können nämlich in mehreren Discord-Servern aktiv sein und alles wird über ein Frontend bedient. Facebook hat damals mit seinen Gruppen das Internetforum ersetzt und wenn da weiterhin das Engagement sinkt – wovon ich ausgehe –, könnte Discord der nächste Profiteur davon sein.
Schahab Hosseiny: Du hast jetzt schon ein wenig von Discord geschwärmt. Die Firma hat im Jahr 2021 inoffiziell ein Übernahmeangebot von Microsoft abgelehnt, mutmaßlich weil sie weiterhin unabhängig bleiben möchten. Vielleicht war das Angebot auch nicht gut genug, das weiß ich natürlich nicht. Discord plant allerdings einen Börsengang, das haben sie offiziell kommuniziert. Wie bullish wärst du bei Discord und warum?
Philipp Klöckner: Das hängt natürlich immer von der damit verbundenen Bewertung ab. Hinsichtlich der Geschäftsentwicklung von Discord bin ich sehr bullish, denn ich glaube, dass darin die dritte Generation der Internetforen besteht. Ich kann mir nicht vorstellen, was dort das Engagement schmälern könnte. Die nächste Entwicklungsstufe ist aus meiner Perspektive noch nicht in Sicht und solange es die nicht gibt, werden die Leute auf Discord bleiben. Das glaube ich, weil es meiner Meinung nach ein Grundbedürfnis danach gibt sich zu vernetzen und sich fachspezifisch auszutauschen – sei es über Gaming oder Krypto oder in einer Community wie unserer. Ich sehe in dem Bereich auch viel Loyalität und ich glaube, es gibt nicht viele Leute, die unserem Server beigetreten sind und ihn danach nie wieder aufgesucht haben. Ich höre auch von wenigen Leuten, dass sie mit Discord unzufrieden sind und könnte mir sogar vorstellen, dass sich auch in der Arbeitswelt zukünftig mehr Leute für Discord statt Slack entscheiden werden.
Schahab Hosseiny: Das ist eine spannende Hypothese. Du bist auch auf vielen anderen Channels aktiv, wie Twitter und LinkedIn. Welche Rolle übernehmen diese einzelnen Channels im Marketing für dich persönlich oder für euren Podcast? Differenzierst du das ganz klar und sind das für dich einfach Kommunikationskanäle? Ihr bespielt auch nicht alle Kommunikationskanäle, sondern seid recht selektiv. Wie genau geht ihr also vor?
Philipp Klöckner: Eine richtige Strategie gibt es dahinter eigentlich nicht. Auf Discord geht es um die Community, die rund um den Podcast entsteht und dort werden alle möglichen Themen diskutiert. Für meine persönliche Brand sind Twitter und LinkedIn wahrscheinlich wichtiger, auch wenn sich meine Arbeit immer wieder mit Podcast-Themen vermischt. Bei Facebook bin ich seit 2021 nicht mehr, das spielt keine Rolle. Auch von Instagram möchte ich mich lösen. Twitter und LinkedIn sind natürlich eher Sendekanäle – man kann dort natürlich interagieren, aber auf Twitter ist das Feedback immer eher provokativ, deswegen ist die Interaktion da immer etwas komplizierter. Ich laste mir das auch selbst an, das wissen meine Follower wahrscheinlich auch. Da schwingt immer viel Sarkasmus, Kritik und Skepsis mit. Bei LinkedIn geht es wegen des Business-Kontextes etwas gesitteter vonstatten.
„Die besten Diskussionen haben wir auf unserem Discord-Server. Die haben richtig Tiefgang und da werden respektvoll verschiedene Positionen vertreten und ausgetauscht.“
Schahab Hosseiny: Du hast eben deine Personal Brand angesprochen. Was ist stärker: die Marke Doppelgänger oder die People Brand Philipp Klöckner?
Philipp Klöckner: Inzwischen auf jeden Fall die Marke Doppelgänger. Das ist bei dieser Hoodie-Aktion sichtbar geworden. Viele Leute haben natürlich aus Überzeugung gespendet, aber diese künstliche Verknappung hat für viele einen attraktiven Anreiz dargestellt.
Schahab Hosseiny: Ich finde, dieser 500-Euro-Hoodie ist ein faszinierendes Beispiel. Wenn ihr so eine wertvolle Marke habt, plant ihr dann auch eine weitere Diversifikation eurer Marke? Aktuell ist die schon sehr stark im Bereich Audio und auf Discord mit inhaltlichen Diskussionen angesiedelt. Für mich als Außenstehenden wäre der nächste logische Schritt, sie durch redaktionelle Inhalte zu ergänzen, in das Thema Bewegtbild zu investieren und daraus eine Fachmedienmarke zu machen. Sind das auch eure Überlegungen? Bei unserem letzten Talk in Berlin hast du noch gesagt, dass du dich bei Audio eigentlich am wohlsten fühlst. Würdest du das heute immer noch sagen?
Philipp Klöckner: Tendenziell schon. Mit OMR gibt es natürlich ein großartiges Vorbild dafür, was man daraus machen kann. Es gibt auch immer wieder den Wunsch aus der Community, dass wir mehr machen sollen – sei es auf Twitch, YouTube oder Offline-Events. Möglichkeiten und Ideen gibt es mithin viele. Ich glaube, ich habe mal auf der OMKB in Bielefeld eine Keynote gehalten, bei der es um Wachstum ging. Da habe ich gesagt, dass die größte Triebfeder von Wachstum das Konzentrieren auf wenige, aber richtige Sachen ist. Meiner Meinung nach ist es nicht richtig, alles zu machen, nur weil es geht. Wir fühlen uns immer noch dem auditiven Erlebnis verhaftet, aber wenn es sich richtig anfühlt, wird es vielleicht mal wieder etwas Neues geben. Letztes Jahr haben wir einmalig mit einer Weihnachtsfeier auf Twitch experimentiert, das war sehr lustig für die Teilnehmenden. Wir denken aber nicht darüber nach, was wir noch alles machen könnten, sondern wir fragen uns: Wenn wir nur eine neue Idee im Jahr umsetzen könnten, was sollte das sein?
Der Doppelgänger-Podcast im Kreuzfeuer zwischen Diversität und Authentizität
Schahab Hosseiny: Der Fokus liegt also weiterhin auf Audio und darauf, dort weiterhin ein signifikantes Wachstum zu produzieren. Philipp, wo Licht ist, ist bekanntermaßen auch immer Schatten. Den Podcast betreibt ihr schon seit einer ganzen Weile. Wenn du damals über deinen heutigen Wissensstand verfügt hättest, was hättest du beim Aufbau eurer Podcast-Brand anders gemacht?
Philipp Klöckner: Eigentlich haben wir alles falsch gemacht und trotzdem würde ich rückblickend nicht vieles anders machen. Die wichtigsten Wachstumstreiber für Podcasts sind Gäste und Formate unter 45 Minuten – und das haben wir extrem schlecht gemacht. Wir hatten noch nie einen Gast und einen Podcast unter 45 Minuten gab es auch noch nicht, der längste hat über zwei Stunden gedauert. Eigentlich ist das nicht wachstumsfördernd, aber unser Ziel war es gar nicht, irgendwelchen Plattitüden oder ewige Weisheiten zu folgen, sondern unser Format zu machen. Und das scheint ja zu funktionieren.
Eine Sache ärgert mich aber schon: Wir haben 90 Prozent männliche Hörer. Wenn wir Ende des Jahres das Olympiastadion füllen, sollten da mehr als 10.000 Frauen sitzen. Daran müssen wir arbeiten, denn wir möchten mit unserem Podcast Wissen verbreiten und das soll natürlich nicht nur die männliche Bevölkerung erreichen. Die Themen fokussieren sich natürlich auf einen Bereich, in dem Männer aktiver sind und an dem Männer mehr Interesse haben und wir als Hosts sind eben auch zwei Männer. Trotzdem ist diese Quote enttäuschend und es genügt unserem Anspruch nicht, dass nur acht Prozent der zuhörenden Frauen sind. Wir sollten deswegen inklusiver sein und auch wenn ich unser Vorgehen nicht bereue, werden wir daran arbeiten.
Schahab Hosseiny: Diversity ist für euch also durchaus ein Thema und die acht Prozent siehst du als eine persönliche Challenge.
Philipp Klöckner: Ja, aber nicht um jeden Preis, denn wir müssen weiterhin authentisch bleiben. Deswegen werden wir nicht anfangen, Gäste einzuladen, aber irgendwie muss es besser gehen. Ich finde, es geht nicht darum, alles richtig zu machen, sondern darum, weniger falsch zu machen. Philipp Glöckler gendert zum Beispiel sehr viel und ich versuche, alle Geschlechter ohne gendern anzusprechen, weil ich das vom Audio-Erlebnis her angenehmer finde. Wir gehen also jeder unseren eigenen Weg und mit gendern löst man auch nicht alle Probleme. Aber das ist immerhin eine Sache, die man besser machen kann.
Meta gegen TikTok – warum sich der ehemalige Social-Media-Riese in Schlammschlachten verstrickt
Schahab Hosseiny: Die Sensibilität für das Thema scheint ja bei euch vorhanden zu sein. Lass uns mal bei Social Media bleiben, worunter ich auch Discord kategorisieren würde. Es ist kürzlich bekannt geworden, dass Meta ein PR-Unternehmen damit beauftragt hat, Unwahrheiten und plattformschädigende Diffamierungen in Bezug auf TikTok zu publizieren. Offenkundig hat Meta mehr als nur Respekt vor der Reichweite und Loyalität, die TikTok produziert hat. Bei der letzten OMKB war unter anderem der Deutschlandchef von TikTok dabei, der uns von den Reichweitenzahlen berichtet hat, die ich als aggressiv bezeichnen würde – TikTok wächst gewaltig. Wo siehst du aktuell die Achillesferse von Meta? Warum haben die so große Angst vor TikTok?
Philipp Klöckner: Metas Problem sehe ich nicht in Form einer Achillesferse; das ganze Unternehmen ist ein Trainwreck. Die Frage ist, worin noch die Stärke von Meta besteht.
Schahab Hosseiny: Worin besteht die Stärke von Meta?
Philipp Klöckner: Im europäischen Raum sehe ich bestenfalls noch bei WhatsApp eine starke Verbreitung und eine tiefe Durchdringung in alle Gesellschaftsschichten und Generationen. Mit unseren Eltern kommunizieren die meisten von uns wahrscheinlich noch via WhatsApp, weil man die nicht so leicht zu Signal locken kann. In den Direktnachrichten und kleinen familiären Gruppen sind die noch relativ stark. Bei Facebook selbst ist der Structural Decline schon zu erkennen, die Engagement sind durch doppelte Nutzer noch etwas verschleiert und Facebook hält das sehr gut von seinen Shareholdern und Advertisern fern. Aber in der jungen Audience verlieren sie seit 2013 massenweise Nutzer:innen. Einige der jungen Nutzer:innen gehen noch zu Instagram, die meisten aber direkt zu Snapchat und TikTok.
Das ist auf jeden Fall eine große Achillesferse und hinzukommt die zurecht zunehmende politische und regulatorische Aufmerksamkeit und Meta ist bemüht, diese Aufmerksamkeit auf TikTok umzuleiten. Wir alle wissen, dass Facebook schlecht für die psychische Gesundheit ist und dass es Menschen zu illegalen oder unmoralischen Handlungen verleitet. Jetzt haben sie also eine Agentur damit beauftragt, Leser:innenbriefe an große Zeitungen zu schreiben, die behaupten, dass TikTok das eigentliche Problem ist und sie versuchen, TikTok die Trends anzulasten, die auf Facebook entstanden sind. TikTok ist also einerseits der größte Konkurrent für Facebook, der einen erheblichen Anteil des Engagements aufsaugt, das früher bei Facebook stattgefunden hat. Gleichzeitig ist Facebook natürlich froh, wenn sich der Argwohn der Politik und der Regulator:innen auf TikTok konzentriert.
Schahab Hosseiny: Ein weiterer Teil von Meta ist Oculus, das in Meta Quest umbenannt wurde. Siehst du da mehr Möglichkeiten?
Philipp Klöckner: Das Metaverse mit AR und VR ist eine Wette, die aufgehen kann. Vorerst ist und bleibt es aber eine Wette.
„Während der Coronapandemie hatten wir große Probleme mit interaktiven Events und selbst in dieser Zeit gab es keinen Durchbruch von AR und VR.“
Das finde ich schon verwunderlich, denn es gab nie eine Zeit, in der der Bedarf nach virtuellen oder semivirtuellen Events oder Beziehungen so groß war. Deswegen glaube ich, dass die Wette – wenn überhaupt – erst in ein paar Jahren eingelöst werden kann. Gleichzeitig hat Meta verschiedene Probleme damit, dass sie unabhängig vom Oculus keine Device-Strategie haben. Das führt dazu, dass sie primär von Apple und Google in die Mangel genommen werden, die die Tracking-Möglichkeiten für Meta einschränken. Das hat Meta selbst dadurch verschuldet, dass sie kein eigenes Endgerät bei den Nutzenden haben. Deshalb haben sie auch keine Payment-Strategie, was problematisch ist, weil Payment das ultimative Tracking ist. Advertisern kann man den Nutzen ihrer Werbung am verständlichsten erklären, wenn man zeigen kann, dass man jemandem eine Werbung angezeigt und diese Person anschließend das beworbene Produkt gekauft hat. Das kann Meta ohne Payment- und Device-Strategie aber nicht.
Wie gesagt verliert Facebook in fast allen Altersgruppen Nutzer:innen und Engagement und auch Instagram stagniert und verliert unter den jungen Nutzer:innen immer mehr Engagement. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass Facebook untergehen wird, aber es hat seinen Höhepunkt überschritten, was durch den E-Commerce-Boom und den damit verbundenen Online-Werbung-Boom etwas verschleiert wurde. Dieser Trend hat den Eindruck erweckt, dass es vielen Unternehmen besser geht als das tatsächlich der Fall ist. Deswegen glaube ich, dass Meta es in Zukunft eher schwerer haben wird.
Schahab Hosseiny: Zusammenfassend hat Facebook sein Plateau erreicht und Oculus ist nicht mehr als eine Wette.
Philipp Klöckner: Für ein 600-Milliarden-Unternehmen ist es außerdem riskant, viel auf eine Technologie zu setzen, die sich noch nicht durchgesetzt hat.
Geopolitische Verstrickungen und ihre Auswirkungen auf Big Tech
Schahab Hosseiny: Absolut. Bleiben wir bei TikTok. Viele wissen nicht, dass in den Feeds der chinesischen Version von TikTok (Douyin) immer wieder fünf Sekunden lange Pausen eingebaut sind. Der chinesische Staat möchte damit den Suchtfaktor dieser endlosen Loops reduzieren. Wir wollen heute nicht zu tief in eine politische Diskussion einsteigen, aber China greift doch rigoros bei Tech-Unternehmen ein. Das wissen wir spätestens seit Alibaba und dem IPO (initial public offering) gegenüber Ant Financial. Glaubst du, dass auch abseits von China Politiker:innen in Zukunft aufgrund der starken Machtkonzentration und dem Einfluss auf junge Menschen bewusst Einfluss nehmen könnten, weil sie nicht möchten, dass die Jugend davon abhängig wird? Diese Breaks könnten als notwendig angesehen werden, weil man bei einer endlosen Reihe von 15 Sekunden langen Videos gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht. Glaubst du, dass das passieren könnte und wäre das eine Gefahr für Big Tech?
Philipp Klöckner: Ich würde das nicht vollständig ausschließen. Aber ich halte es für unwahrscheinlich im Hinblick darauf, wie lange man Facebook und Instagram hat gewähren lassen. Dementsprechend fände ich das fast ein wenig unfair. TikTok ist allerdings wie Instagram auf Crack, weil der Algorithmus noch besser und dadurch noch suchtfördernder ist. Aus der Perspektive könnte ich eine härtere Regulatorik also verstehen, aber mein Bauchgefühl ist dennoch, dass es nicht ganz fair ist, gegenüber TikTok die großen Geschütze aufzufahren, nachdem man Facebook so lange hat gewähren lassen. Man kann natürlich sagen, dass man TikTok noch genauer unter die Lupe nimmt, weil es ein chinesisches Unternehmen ist.
Und genauso kann man sagen, dass dieselben Diskussionen bei der Erfindung des Buchdrucks, des Romans oder des Privatfernsehens geführt wurden und dass schon damals die Angst vor diesen Neuerungen groß war.
„Ich glaube, dass es eine gesellschaftliche Aufgabe ist, Kindern und Erwachsenen den Umgang mit sozialen Medien beizubringen. Die Verfügbarkeit zu beschränken löst ja das Problem nicht, sondern wir müssen als Gesellschaft mündiger im Umgang damit werden.“
Das ist schwer, weil die Algorithmen so ein hohes Suchtpotenzial haben und eine kurze erzwungene Pause hilft natürlich, diesen Bann vorübergehend zu brechen. Das wäre aber auch eine traurige Entscheidung, weil man danach ohnehin wieder im Loop gefangen ist. Ich halte das nicht für die Lösung.
Schahab Hosseiny: Dann vielleicht lieber der Social-Media-Führerschein. Bleiben wir bei China – wie ist deine Einstellung gegenüber chinesischen Tech-Aktien. Ich habe einige Tech-Aktien aus China im Portfolio und die laufen momentan gar nicht so gut. Ich sehe aber natürlich auch, dass der chinesische Staat rigoros eingreift – vor allem bei Big Tech. Würdest du die Finger davon lassen, weil du glaubst, dass das noch mehr zunehmen könnte? Und wenn ByteDance an der Börse handelbar wäre, würdest du zuschlagen?
Philipp Klöckner: ByteDance ist die Muttergesellschaft von TikTok und im Hinblick auf die Produktinnovation würde ich das für ein hervorragendes Unternehmen halten und daran glauben. Aktuell würde ich China aber komplett meiden. Die chinesische Regierung hat angekündigt, dass sie ihre regulatorischen Bemühungen zum Ende bringen möchten. Es kann also noch einiges kommen, aber das bedeutet auch, dass sie irgendwann die Zügel wieder lockern werden. Je nachdem wie der Konflikt in Osteuropa ausgeht, könnte ich mir aber auch vorstellen, dass China in Zukunft seine Aneignungsbestrebungen gegenüber Taiwan wieder intensivieren wird. Das würde zu neuen Sanktionen führen, was einen Backlash für chinesische Aktion zur Folge hätte. China können wir nicht in der gleichen Weise sanktionieren wie Russland – die wir meiner Meinung nach auch zu wenig sanktionieren –, aber trotzdem wäre das nicht vorteilhaft für die chinesischen Aktien. Deswegen würde ich um die auf unbestimmte Zeit einen großen Bogen machen.
Cyber Security und Cloud-Computing: Wird Europa von den USA abgehängt?
Schahab Hosseiny: Du hast gerade den Krieg angesprochen, der sicherlich auch im Netz stattfindet – Stichwort Cyber Security. Du scheinst aktuell relativ bullish auf Cyber und IT-Security zu sein; unter anderem empfiehlst du Aktien wie CrowdStrike, Zscaler und SentinelOne. Alphabet Inc. hat vor Kurzem für 5,4 Milliarden US-Dollar die Mandiant Inc. gekauft, was meiner Meinung nach wenig in den Medien beachtet wurde. Wie sind deine Gedanken zum Thema Cyber Security?
Philipp Klöckner: Ich glaube, dass der Markt unheimlich viel Rückenwind hat, weil wir zurzeit mit einer Vielzahl an Bedrohungsszenarien umgehen müssen. Eines ist natürlich in Osteuropa verhaftet, es geht aber auch um Foreign State Actors wie Nordkorea oder China, Wirtschaftsspionage, Ransomware und die Privatpersonen, die damit hohe Rendite machen, dass sie Netzwerke infiltrieren und Unternehmen damit erpressen. Man kann meiner Ansicht nach außerdem davon ausgehen, dass der Cyber-Security-Sektor mindestens so schnell wachsen wird wie der Cloud-Sektor; die großen Anbieter Microsoft, Amazon und Google können zurzeit ein Wachstum von 30 bis 50 Prozent vorweisen. Die Investitionen in Security gegenüber der Cloud sollten sich weiterhin intensivieren. In Anbetracht des wachsenden Marktes und der anhaltenden Bedrohungen wird der Security-Sektor weiter florieren – so traurig das auch ist.
Und das sieht man bereits an den Unternehmen, die du aufgezählt hast. CrowdStrike wächst momentan zwischen 50 und 60 Prozent, SentinelOne über 100 Prozent und Zscaler liegt irgendwo dazwischen. Das bewegt sich schon auf einem relativ hohen Niveau, deshalb glaube ich, dass der Sektor noch mehr Rückenwind erfahren wird und dass Unternehmen sich jetzt damit auseinandersetzen müssen.
Schahab Hosseiny: Mit Blick auf die 40 größten börsennotierten Unternehmen im Bereich IT und Cyber Security wird schnell klar, dass das Thema von den US-Amerikanern dominiert wird. Auch die von uns genannten Unternehmen kommen allesamt aus den USA. Unter den 40 größten Unternehmen nach Marktkapitalisierung findet sich mit der SiKoNet GmbH nur ein einziges deutsches Unternehmen. Fairerweise muss man sagen, dass neben den USA auch Israel stellenweise in dieser Liste vertreten ist. Ist das ein weiteres Problem in unserer Sicherheitsinfrastruktur, das erneut mit negativen geopolitischen Auswirkungen einhergehen könnte? Oder anders ausgedrückt: Beschäftigen wir uns in Deutschland zu wenig mit diesem Thema?
Philipp Klöckner: Ich glaube, dass sich Unternehmen generell und nicht nur – aber insbesondere – in Deutschland noch zu wenig damit beschäftigen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir unbedingt ein deutsches Cyber-Security-Unternehmen benötigen. Richtig ist, dass wir in dem Bereich den Anschluss verloren haben; keines der zehn relevantesten Unternehmen hat seinen Sitz in Deutschland. Im Consumer-Security-Bereich waren wir durchaus mal dabei – die G Data CyberDefense AG kommt beispielsweise aus Bochum und Avira Antivirus aus Baden-Württemberg. Die Situation hinsichtlich der IT-Security für Unternehmen kann man mit der NATO vergleichen: Wir vertrauen sehr auf die USA. Das könnte irgendwann teuer für uns werden – wenn in den USA zum Beispiel ein anderer Präsident an die Macht kommt.
Gleichzeitig ist den großen Cyber-Security-Firmen ihre Neutralität sehr wichtig. Die bedienen den gesamten Markt und stehen aktuell in der Kritik, weil sie weiterhin russische Unternehmen schützen. Würden die ihren Schutz dort nicht mehr anbieten, würde das Russland angreifbar machen. Das Ziel dieser Firmen besteht darin, ein „Splinternet“ zu vermeiden, in dem jeder Staat seine eigenen Sicherheitsunternehmen hat. Deswegen möchten sie noch neutraler als die Schweiz sein – selbst die Schweiz hat in dem aktuellen Konflikt nämlich Flagge bekannt. Cloudflare und viele andere Security-Unternehmen sichern trotzdem alle Webseiten, damit Staaten nicht anfangen, individuelle Security-Lösungen zu suchen. Insofern besteht eine gewisse Unabhängigkeit zu unserem Nachteil, gleichzeitig würde ich aber davon ausgehen, dass sich die Cyber-Security-Unternehmen ihre Neutralität bewahren, sofern sie nicht politisch anderweitig verpflichtet werden.
Schahab Hosseiny: In deinem Podcast sprichst du häufig über Amazon und ihre rasante Entwicklung zum Multi-Channel-Giganten. Lass uns bei der Geopolitik bleiben und in diesem Zusammenhang über AWS (Amazon Web Services) und Hyperscaler-Ambitionen deutscher Player wie IONOS sprechen. Viele kennen IONOS gar nicht, wir hatten bei der letzten OMKB-Konferenz aber ein Vorstandsmitglied von IONOS auf der Bühne und damals haben sie ihre IPO vorbereitet. Laut Medienberichten könnte damit der wertvollste europäische Cloud-Konzern überhaupt entstehen – mit einer Marktkapitalisierung von 5 Milliarden Euro. Wie ist deine Einschätzung zum Cloud-Computing-Markt und IONOS?
Philipp Klöckner: Die Marktbewertung halte ich für realistisch, tendenziell bewegt die sich an der unteren Grenze dessen, was möglich ist, falls sich das Klima an der Börse etwas verbessert. Im Zusammenhang mit Clouds wird doch stärker nach nationalen Lösungen gesucht und viele legen Wert darauf, dass ihre Cloud zu 100 Prozent in der EU gehostet wird. Meines Wissens wächst das Segment bei IONOS sehr dynamisch, deswegen glaube ich durchaus an das Unternehmen.
„Viele mittelständische Unternehmen und vielleicht sogar solche im MDAX- und DAX-Bereich würden sich sicherlich eher für eine europäische Cloud entscheiden.“
Wenn sich das weiter manifestiert, wird aber auch neue Konkurrenz auf den Plan treten. Das könnte unter anderem die Schwarz Gruppe sein – das Konglomerat, zu dem unter anderem Lidl gehört. Das wird mitunter belächelt, es ist gegebenenfalls aber gar nicht so absurd, dass auch die ihre Infrastruktur Dritten zur Verfügung stellen. Viele kritisieren immer, dass zu viel in der Google Cloud oder der Amazon Cloud abgelegt wird, aber die eigene Cloud oder Infrastruktur ist im Zweifel immer angreifbarer und es ist stets sicher, sich an die Lösungen großer Player dranzuhängen. Ich kann mir also vorstellen, dass sich noch zwei oder drei weitere Player in dem Markt breitmachen werden, was etwas auf die Wachstumsraten von IONOS drücken würde. Ich bin mir dennoch sicher, dass sie die Nummer eins in Europa bleiben werden.
Schahab Hosseiny: Multicloud wird sicherlich auch noch eine Relevanz haben.
Philipp Klöckner: Durch die Aufholeffekte werden wir bei denen diese 30 bis 50 Prozent Wachstum mindestens über die nächsten fünf Jahre hinweg sehen. Mit der Zeit wird sich das verlangsamen, aber vorerst sollten die in dem Bereich weiterhin wachsen.
Schahab Hosseiny: Du glaubst also langfristig an den in Deutschland ansässigen europäischen Marktführer.
Philipp Klöckner: Es könnte sogar passieren, dass irgendwann gesetzlich vorgeschrieben wird, dass bestimmte Daten innerhalb der EU gehostet werden müssen. Das würde zusätzlichen Rückenwind bedeuten – je nachdem, wie stark in dem Bereich lobbyiert wird. Andere Konzerne werden sich natürlich stark dagegen wehren, aber diese Regulation könnte durchaus Wirklichkeit werden.
Schahab Hosseiny: Das ist ein realistisches Szenario. Siehst du weitere Player im deutschsprachigen Raum, die im europäischen oder sogar weltweiten Tech-Segment einen Platz an der Spitze einnehmen könnten?
Philipp Klöckner: Eine weltweite Führung sehe ich ehrlich gesagt nicht. Ich muss mal überlegen, wer überhaupt mehr als eine nationale Führung erreichen könnte.
Schahab Hosseiny: Schenk uns doch etwas Hoffnung.
Philipp Klöckner: Celonis schlägt sich auch international einigermaßen gut im Process-Mining, Trade Republic könnte paneuropäisch zu einem relevanten Player werden. Würde FlixBus in den USA die Greyhound-Marke wiederbeleben, könnten die ein Vorzeige-Case sein. Die US-Expansion ist eher riskant, aber wenn sie das schaffen, könnte FlixBus zu einem erfolgreichen europäischen Player werden.
Spryker könnte eventuell eine Chance haben. Der Markt für E-Commerce-Systeme wird immer fragmentiert bleiben und Platz für große und kleine Lösungen haben. Aber in ihrem speziellen Segment könnte Spryker ein relevanter internationaler Player werden.
„Zalando und About You werden im Fashion-E-Commerce die arrivierten Player wie ASOS und alles im Bereich Fast Fashion übertrumpfen und wahrscheinlich Vorbilder für das Geschäftsmodell bleiben.“
Kürzlich wurde allerdings bekannt, dass SHEIN die nächste Runde auf etwa 100 Milliarden macht, deren Umsatz ist bei gleicher Wachstumsrate fünfmal so hoch wie der von About You.
Schahab Hosseiny: Es gibt also definitiv Wachstumskandidat:innen, die es schon jetzt zu einer beachtlichen Größe geschafft haben.
Philipp Klöckner: Globale Player sehe ich darunter aber nicht wirklich.
Ein schlechtes Jahr für Tech-Aktien – und nun?
Schahab Hosseiny: Vielleicht fangen wir mit Europa an. Bleiben wir aber erst einmal bei Tech: Tech-Aktien haben im Jahr 2022 den schlechtesten Start seit 2016 hingelegt. Der war also nicht so gut, jedenfalls im Hinblick auf das arithmetische Mittel. Das hat mit Sicherheit zahlreiche Gründe, etwa die Halbleiterkrise, Corona und leider auch die Ukraine-Krise. Letztere hat aktuell starke Auswirkungen auf alle möglichen Branchen. Florian Heinemann hat in der letzten OMKB-Runde gesagt, dass er weiterhin an das fundamentale Momentum und Wachstum von Big Tech glaubt. Wie siehst du das? Die Frage kann ich mir als fleißiger Doppelgänger-Hörer eigentlich fast selbst beantworten, aber ich wüsste trotzdem gerne, wie du das für dich bewertest. Ihr seid schließlich nah dran und mit Sicherheit habt ihr im Jahr 2021 viele tolle Zuhörer:innen gewinnen können, die ein schwieriges Jahr gehabt haben, falls sie in diesem Jahr Tech-Investitionen getätigt haben.
Philipp Klöckner: Man muss die großen Trends von der Entwicklung am Aktienmarkt trennen. Die Aktienkurse unterlagen bis Ende 2021 einer starken Übertreibung und durch die Inflation, die damit verbundenen drohenden Zinserhöhungen und die von dir genannten Effekte ist nun Druck auf die Kurse entstanden. Die großen Trends, die die Quelle des Wachstums dieser Firmen waren, sind aber weiterhin intakt. Wir werden trotzdem einen Wandel von Offline zu Online in den Bereich Handel und Werbung erleben und es werden immer noch Billionen an Wagniskapital in den Markt gedrückt. Ein Drittel dessen landet sicherlich als Werbegeld bei den großen Tech-Gigant:innen, ein weiteres Drittel bei den größten Anbieter:innen in den Bereich Software, Cloud und SaaS und das letzte Drittel beim Personal. Ich glaube nicht, dass sich dieser Trend verlangsamen oder sogar umkehren könnten. Meiner Meinung nach muss man keine Angst um Technologieaktien oder Wachstumswerte haben. Wie gesagt schwanken die Bewertungen mit den Gegebenheiten des Marktes, den Alternativen und den Zinssätzen, aber die großen Trends bleiben intakt.
Meta ist dabei natürlich eine Ausnahme. Ich glaube, in dem Zusammenhang muss man verstehen, dass Netzwerkeffekte in beide Richtungen funktionieren können. Der Wert steigt also rapide, je mehr Mitglieder das Netzwerk gewinnt, der Wert kann aber auch schnell sinken, wenn immer mehr Nutzende verschwinden. Wir wissen übrigens noch gar nicht, wie lang der Lebenszyklus eines Tech-Unternehmens ist. Neulich habe ich im Podcast ein anschauliches Beispiel genannt: Meine ersten Aktien habe ich vor etwa 20 Jahren gekauft und das waren Aktien von einem Druckmaschinenhersteller und einem CD-Presswerk. Das habe ich damals für sehr schlau gehalten, heute sind beide Unternehmen im Hinblick auf ihr Wachstum aber mehr oder weniger irrelevant.
„Heute stellen wir uns noch die Frage, ob eine Social Media Company länger als 20 Jahre bestehen kann.“
Bei Software-Firmen wird meiner Meinung nach immer Innovation passieren, aber bei Social Media könnte es anders sein.
Schahab Hosseiny: Monopolisten wurden in der Vergangenheit immer irgendwann abgelöst. Ich würde allerdings die Hypothese aufstellen, dass Tech-Unternehmen Strategien entwickelt haben, um eine solche Ablösung stark zu verzögern. Bei Meta könnten wir mitten in dieser Ablösung stecken, dafür hast du jedenfalls valide Punkte vorgetragen.
Philipp Klöckner: Die haben sich die Innovation gewissermaßen immer eingekauft, aber das wird ihnen in Zukunft wahrscheinlich von der FTC (Federal Trade Commission) unter der Leitung von Lina Khan untersagt werden. Zumindest von Facebook werden wir nicht mehr viele Akquisitionen sehen, jedenfalls nicht in deren Hauptgeschäftsbereich. Umso gefährlicher ist es, dass sie keinen Erfolg im Bereich Produktinnovation zu verzeichnen haben und dass es gleichzeitig starke Konkurrenz gibt.
Schahab Hosseiny: Ich finde das Segment sehr spannend. Da ist immer viel Bewegung drin und Firmen wie Snapchat wachsen tatsächlich weiterhin. Lass uns beim Aktienmarkt bleiben. Du beschäftigst dich unter anderem mit Kryptowährungen und NFTs. Wie stehst du zu Unternehmen wie MicroStrategy, die große Teile ihres Vermögens in Kryptowährungen investieren – wobei MicroStrategy selbst in diesem Segment ein Exot sein dürfte? Aber auch Tesla hat zwei Milliarden seines Vermögens in Bitcoins investiert, was gegenüber der Marktkapitalisierung von Tesla ehrlich gesagt fast schon Makulatur ist. Elon Musk hat kürzlich außerdem einen sehr relevanten Stack bei Twitter gekauft, der sogar größer ist als der von Jack Dorsey. Das ist aber ein anderes Thema. Tesla und MicroStrategy argumentieren damit, dass diese Investments sinnvolle Diversifikationen darstellen. Das kann natürlich eine PR-Maßnahme sein, aber lass uns das mal außen vor lassen. Siehst du das genauso wie Tesla und MicroStrategy? Auf der Doppelgänger-Seite sagst du schließlich auch ganz klar, dass Ethereum deine Prediction für 2022 ist. Glaubst du weiterhin daran?
Philipp Klöckner: Wenn ich meine Geldhaltung diversifizieren möchte, kaufe ich mir selbst Ethereum oder Bitcoin. Ich kaufe mir schließlich keine Aktien, damit dann der oder die CEO das Geld nach eigenem Gutdünken in Kryptowährungen investiert. Ich halte das nicht für die Aufgabe der CEOs. MicroStrategy halte ich allerdings für einen Spezialfall, weil die eigentlich einen schlauen Schachzug gemacht haben. Ich bin kein Fan von dem Unternehmen, aber Michael Saylor (der CEO von MicroStrategy) hat durchaus etwas Schlaues gemacht. Viele Fonds dürfen aus regulatorischen Gründen nicht selbst in Kryptowährungen investieren. Deshalb hat MicroStrategy gewissermaßen durch die Hintertür ein ETP (Exchange Traded Product) gebaut – also ein börsennotiertes Produkt. Dieses Unternehmen hatte fast kein operatives Geschäft mehr, aber dadurch, dass sie 100 Prozent ihres Geldes in Bitcoin gesteckt haben, können Fonds und Anleger:innen jetzt mittelbar vom Bitcoin-Kurs profitieren. Es war ziemlich schlau, diese Lücke auszunutzen.
Schahab Hosseiny: Meine Mama hat zum Beispiel ganz minimal bei MicroStrategy investiert, weil ihr Kryptowährungen zu kompliziert sind, aber den Aktienmarkt hat sie verstanden. Der Plan ist also aufgegangen.
Philipp Klöckner: Genau, das haben sie ganz schlau genutzt. Aber ansonsten erwarte ich von Unternehmen nicht, dass sie ihre Geldhaltung diversifizieren. Stattdessen sollten Unternehmen ihre Währungsreserven in den Währungen halten, in denen sie ihre Geschäfte abwickeln. Wenn Tesla Autos mit Bitcoin als Währungsmittel verkauft, wäre das etwas anderes. Das wäre natürlich ein Weg, sich gegen die Risiken im Zusammenhang mit Fremdwährungen abzusichern.
Der Einfluss der Coronapandemie auf den E-Commerce
Schahab Hosseiny: Klare Ansage. Philipp, eine deiner Predictions ist, dass 2022 ein schweres Jahr für den E-Commerce sein wird. Die Quartalsberichte der aktiennotierten Unternehmen sind aktuell noch nicht publiziert, viele müssten aber demnächst veröffentlicht werden. Deine Hypothese hast du wiederum schon vor Monaten getroffen. Woran machst du die fest und würdest du weiterhin dabei bleiben, dass 2022 auch nach Q1 ein schwieriges Jahr für den E-Commerce wird?
Philipp Klöckner: Ich würde an meiner Hypothese nicht nur festhalten, sondern sie sogar mit noch mehr Conviction vorbringen. Meine Grundhypothese war folgende:
„Das Hauptproblem der E-Commerce-Unternehmen im Jahr 2022 besteht im Grunde darin, dass sie 2021 zu stark gewachsen sind.“
An der Börse vergleicht man Unternehmen nämlich immer mit ihrer Performance im gleichen Quartal des vorherigen Jahres. Im Jahr 2021 hat durch Corona eine absolute Sonderkonjunktur stattgefunden, deshalb sind alle Unternehmen – egal, wie schlecht sie vorher dastanden – extrem gewachsen. Diese Werte in einem Jahr zu überbieten, in dem der Offline-Handel wieder aktiv ist, ist unheimlich schwer – egal, wie gut das Management ist. Wer das trotzdem überbieten kann – wie About You etwa – leistet meiner Meinung nach überdurchschnittlich gute Arbeit.
Schahab Hosseiny: Die wurden an den Aktienmärkten aber auch abgestraft. Deren Kurse legen tendenziell eine Talfahrt hin.
Philipp Klöckner: Meiner Meinung nach liegt das größtenteils daran, dass der gesamte Sektor aufgrund der bereits erwähnten Vergleichswerten abgestraft wird. Das hängt aber auch mit dem aktuellen Inflationszinsszenario, der Supply Chain und dem Mangel an Facharbeiter:innen. Ich gehe davon aus, dass in der Logistik die Kosten momentan signifikant steigen, weil es mittlerweile zu wenige geringqualifizierte Arbeiter:innen gibt und die Inflation die Löhne weiter in die Höhe treibt.
Durch die Krise in Osteuropa kommt hinzu, dass wir aktuell eine starke Konsumzurückhaltung beobachten. Das bedeutet, dass das Vertrauen der Verbraucher:innen ein lokales Minimum erreicht hat. Das Vertrauen in den Markt wurde in den ersten beiden Monaten dieses Jahres bereits durch die leicht steigenden Energiepreise geschwächt, inzwischen haben viele Leute mit Blick auf die Preise an den Tankstellen und ihre Gas- und Ölrechnungen aber schlicht kein Geld mehr für Shopping übrig. Wir sind also einigermaßen gut in das Jahr gestartet, inzwischen sieht es aber schlecht aus für den E-Commerce. Dementsprechend wird es das Jahr noch schwerer, als ich es mir ausgemalt habe. In der ersten Podcast-Folge habe ich gesagt, dass der Großteil meines Geldes in Amazon investiert ist – damals war das etwa ein Drittel meines Portfolios – und dass ich das nie verkaufen werde. Ich halte Amazon weiterhin für ein gut geführtes Unternehmen, dennoch habe ich letzte Woche alle meine Amazon-Positionen verkauft, weil ich glaube, dass selbst die ein schlechtes Jahr vor sich haben.
Dass die nächste Zeit für alle schwer wird, bedeutet übrigens nicht, dass nicht einige Player die anderen outperformen können – wie About You und Amazon. Auf dem Papier wird es dennoch ein schlechtes Jahr werden. Im Q4 könnten sich diese Vergleichswerte wieder einfacher gestalten, wenn wir dann nicht schon in der nächsten Krise stecken. Dann werden wir eine neue Bodenbildung beobachten können, von der aus die Unternehmen wieder in einem zweistelligen Bereich wachsen können. Grundlegend glaube ich nämlich an den E-Commerce – der Wandel von Offline zu Online wird weiter voranschreiten. Nach der Sonderkonjunktur der letzten zwei Jahre stellt dieses Jahr bloß eine besondere Herausforderung dar.
Schahab Hosseiny: Philipp, herzlichen Dank für deine Zeit, deinen Input und die Transparenz.
Philipp Klöckner: Vielen Dank.
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