Dr. Florian Heinemann wird von den Fachmedien gerne als Online-Marketing Guru Deutschlands bezeichnet.
Er ist Gründungspartner von Project A Ventures in Berlin. Dort ist er für die Bereiche Marketing, CRM und Business Intelligence zuständig. Davor war er Geschäftsführer bei Rocket Internet und unter anderem maßgeblich am Aufbau von Zalando/Global Fashion Group beteiligt. Als Investor und Business Angel ist er zudem noch an über 100 Startups beteiligt, darunter Trivago, Zalando und Home24.
Florian Heinemann promovierte an der RWTH Aachen im Bereich Innovationsmanagement und Entrepreneurship, hat einen Masterabschluss in Business Administration der WHU Koblenz und war Visiting Scholar an der Wharton School.
Video mit Dr. Florian Heinemann
Schahab Hosseiny, CEO von Think11, sprach mit ihm im Rahmen der OMKB unter anderem über die Themen Livestreaming, Cybersecurity und Investitionen.
Livestreams – gekommen, um zu bleiben?
Schahab Hosseiny: Servus Florian. Ich muss mich ja als Florian-Heinemann-Fan outen! Und ich glaube, damit bin ich nicht ganz alleine. Von daher ist es auch heute ein absolutes Privileg, nochmal mit Dir in eine etwas tiefere Q&A-Session einzusteigen.
Herzlichen Dank auch für Deine Zeit. Wir sitzen hier gerade in Osnabrück. Background bei Dir wahrscheinlich Homeoffice, nehme ich an?
Podcast mit Dr. Florian Heinemann
Dr. Florian Heinemann: Absolut, genau. Berlin-Prenzlauer Berg. Im Homeoffice.
Schahab Hosseiny: Wunderbar. Florian, wir haben ganz, ganz viele Fragen, die vielfach auch sehr spannend sind. Von daher würde ich gar nicht so viel wertvolle Zeit mit Smalltalk verbringen und direkt einsteigen.
Wir sind ja heute in einem Livestream unterwegs. Spätestens durch die Übernahme von Twitch durch Amazon ist das Thema Livestream auch bei vielen Marketeers auf der Agenda aufgetaucht. Heute sehen wir, dass spätestens nach Covid-19 auch der Mittelstand anfängt, in Livestreams zu investieren.
Wie ist Deine Position zum Thema Livestream? Sind Livestreams gekommen, um zu bleiben? Und wie ist deine grundsätzliche Position dazu?
Dr. Florian Heinemann: Wir sehen ja, auch im eigenen Portfolio, dass Firmen Livestreams einsetzen. Firmen wie Spryker – die B2B-Kundschaft Kundschaft haben – machen das auch so wie Ihr: Eine Mischung aus Webinar/Livestream für eine relativ spezifische Audience, um Leads im B2B-Bereich zu generieren. Im B2C-Bereich ist es mir noch nicht so stark aufgefallen, muss ich sagen. Außer natürlich im Gaming Bereich.
Twitch ist ja – nach meinem Verständnis zumindest – immer noch primär Gaming Content, der da gestreamt wird. Aber es ist natürlich schon ein sehr, sehr mächtiges Format. Was da für den B2C-Bereich Relevanz hat, ist natürlich auch immer die Frage: Wie kann man dort werben? Wie sind die Werbeumfelder rund um um den Live-Stream?
Das ist jetzt für Spryker oder andere B2B-Firmen nicht ganz so wichtig. Die haben im Zuge der Anmeldung für deren eigenen Livestream sowieso die Daten von potenziellen Leads bekommen. Und das ist dann letztendlich genug der Werbung. Aber wie macht man das als FMCG? Mir sind bisher zumindest noch keine Formate aufgefallen, in denen am Endkunden orientierte Firmen einen FMCG-Bereich als eigenen Live-Stream aufsetzen.
Wer allerdings sehr viel in diesen Bereich unterwegs ist, ist Red Bull. Die haben natürlich oft Content aus dem Extremsport Bereich, den sie in der Regel auch selbst produzieren und in Form von Livestreams einsetzen. Das stellt letztendlich natürlich auch eine Form der Werbung für Red Bull dar. Was da natürlich nochmal ein interessantes Element wäre, sind Werbeformate für Drittfirmen innerhalb eines Livestreams.
Man sieht das ja auch bei Euch. Ihr blendet jetzt da im Hintergrund die Partner in der Mitte ein, und das ist ja auch eine Art von Werbeplatzierung. Ich glaube, da wird sich sicherlich noch zeigen, wie man das am besten machen kann. Ob Du das dann beispielsweise wie Fernsehwerbung machst, denn Fernsehen ist ja auch häufig live oder eine Art Stream. Wird das dann genauso sein im Livestream? Ich glaube, das ist zurzeit noch noch unklar.
Was man aber schon festhalten kann: Die Bedeutung wird zunehmen, weil natürlich auch die Qualität der Internetverbindung gerade im Mobilbereich weiter zunehmen wird. Und das erhöht zusätzlich die Attraktivität von Livestreams, denn dann kannst Du auch das Risiko einer Liveübertragung eingehen. Ich glaube, die Leute im B2B-Bereich werden dazu auch immer besser und lernen immer mehr, wie man Formate gestalten kann. Livestreaming ist der nächste Schritt.
Deswegen, glaube ich, wird das auch nochmal zunehmen. Es ist das einzige Format, das eine sehr gute Nutzerinteraktion bzw. eine sehr dynamische Nutzerinteraktion ermöglicht. Das hat dann natürlich schon enorm Charme. Theoretisch kannst Du live auf Nutzerfeedback oder sowas reagieren.
Ich glaube, in Bezug auf den Nutzen für Advertising Zwecke sind wir da immer noch in einer früheren Phase. Diese Möglichkeit – sowohl im B2B-Bereich als auch im B2C-Bereich – zu nutzen, halte ich deshalb auf jeden Fall für sehr sinnvoll..
Schahab Hosseiny: Okay, das heißt zusammenfassend gesagt: Bei B2B, definitiv! Da siehst du auch im eigenen Portfolio schon erste Aktivitäten. Im B2C-Bereich sehen wir tatsächlich bei Modehäusern sehr, sehr starke Aktivitäten – zumindest während Covid-19 – weil natürlich da die Schotten dicht waren.
Dr. Florian Heinemann: Ist ja auch ein Super Bereich. Letztendlich eine Art Live Modenschau.
Schahab Hosseiny: QVC.
Dr. Florian Heinemann: Genau, QVC auf Steroids. Und ich meine, das ist ja auch so ein bisschen das, was man in China sehr stark sieht. Beispiel Double 11. Das ist ja letztendlich nichts anderes als Monster-QVC, natürlich sehr kondensiert. Eine Mischung aus Offline Events für ein paar Leute, gemischt mit einer Reichweite in Millionenhöhe, die durch Livestreaming eben dieses Offline Events erzeugt wird.
Oder solche ABOUT YOU Influencer-Awards, zum Beispiel. Das geht natürlich genau dahin, dass Du Events in Richtung Livestreaming hebelst. Und die Bedeutung wird zunehmen, das ist völlig klar. Die spannende Frage ist dann, wie kann ich mich da als Dritt-Advertiser mit einklinken?
Schahab Hosseiny stellt die Frage, wie Marketer im Kosmos des Gamings über z. B. Twitch, punkten können. Dr. Florian Heinemann spricht dazu über Ingame-Werbeplattformen, die Möglichkeiten der Kooperation mit Game-Entwicklern und die Problematiken, die sich über diese Plattformen stellen.
Eine Studie von PWC zeigt, dass rund 15 Prozent der programmatischen Gelder in schwarzen Löchern verschwinden. Dr. Heinemann erklärt, warum das aus seiner Sicht so ist, wohin das Geld verschwindet und spricht über den Verlust durch Fraud bzw. wie Fraud Prevention helfen kann. Er geht bei der Gelegenheit auch auf Third Party Cookies und deren Rolle ein.
Cybersecurity – Für Start-ups nicht so wichtig?
Schahab Hosseiny: Spannender Input, leicht düstere Zukunft, wenn ich das mal so zusammenfassen darf. Bleiben wir vielleicht beim Thema Fraud, Betrug, Cybersecurity. Das geht ja gewissermaßen Hand in Hand, Cybersecurity unter digitalen Marketingaspekten.
Ich weiss jetzt nicht, ob Cybersecurity unbedingt dein Schwerpunkt ist, aber ich bin mir sicher, dass Du dazu bestimmt ein Statement hast, wie zu vielen anderen Themen auch. Wie stehst du zu dem Thema? Wir erleben häufig, dass sich Marketingagenturen oder – in Summe – Unternehmen auch in Deutschland noch nicht so intensiv mit dem Thema Cybersecurity beschäftigt haben.
Es kann aber letztendlich natürlich einen essentiellen Einfluss auf Deine Marketingaktivitäten haben. Alleine wenn wir uns die Downzeiten von Webseiten anschauen, da müssen nicht mal DDoS-Attacken gefahren werden, sondern da muss einfach nur der Server irgendwie in die Knie gehen. Da wird dann eben an Google Ads, Facebook und Co. kein automatisierter Ping gesendet, der sagt “Website is down, bitte Werbekampagnen stoppen”.
Das sind ja so ganz pragmatische Dinge, die man aber tatsächlich umsetzen kann. Wie siehst Du das gesamte Thema Cybersecurity, jetzt auch in Verbindung mit Digital Marketing? Auch wenn es die Unit vielleicht nicht direkt tangiert. Siehst Du da eine Querverbindung? Sagst Du, ja, das ist schon so ein Thema, damit muss man sich 2020/2021 auch unbedingt mit beschäftigen? Oder sagst du eher, naja, das ist ein technisches Thema und das muss dann letztendlich der CTO in den Griff bekommen?
Dr. Florian Heinemann: Das ist jetzt nicht mein totales Spezialgebiet, um da keinen falschen Eindruck zu erwecken. Aber ich glaube, das ist auf jeden Fall ein relevantes und passendes Thema. Eine meiner Thesen ist ja sowieso, dass man generell mehr Technologiekompetenz, auch in den Marketingabteilungen, braucht. Das siehst du auch bei den besseren Marketing-Organisationen wie About You, Zalando usw.
Anlass ist das, was Du gerade beschrieben hast, DDoS-Attacken und so weiter. Dazu kommt natürlich auch der Punkt Sicherheit von Kundendaten, usw. Das ist ja das nächste Thema, bei dem Du im Rahmen der GDPR/DSGVO deutlich stärkere Verpflichtungen hast, als Unternehmen sorgfältig damit umzugehen. Unabhängig von irgendwelchem Imageschaden, der dann natürlich entsteht, oder irgendwelchen Strafzahlungen.
Das ist für jeden Marketer wichtig, und ich beziehe auch den Bereich Retention CRM mit ein. Der muss sich eigentlich die Frage stellen: Sind wir entsprechend aufgestellt, um die Datensicherheit der Kunden zu gewährleisten? Gerade wenn Du der These folgst, dass Third Party Data – Drittdaten – einzukaufen und zu verwerten immer schwieriger wird. Das heißt, es wird auf der anderen Seite immer wichtiger, First Party Data möglichst gut zu nutzen und actionable zu haben.
Das setzt natürlich voraus, dass diese First Party Data – wenn man sie besonders gut nutzen will – dann auch entsprechend gesichert sein müssen, damit die Konkurrenz nicht darauf zugreifen kann. Aber natürlich auch, damit keine Datenlecks entstehen, bei denen Daten nach außen dringen. Geht man also in Richtung First Party Data, dann muss man sich eigentlich auch zwangsläufig fragen, ob man da entsprechend aufgestellt ist.
„Jeder denkt: Kreditkartendaten Betrug – das passiert woanders, aber nicht bei uns.”
Ich kann das nur für uns selbst sagen. Wir haben die Kompetenzen Inhouse. Wir haben 100 Mitarbeiter, davon sind ein Drittel, oder 40 Prozent, im technischen Bereich tätig. Das heißt, wir haben die entsprechenden Fähigkeiten. Wir durchlaufen ja auch Due Diligence. Als Fond werden wir gefragt: Was macht Ihr da eigentlich? Und wir handeln ja dann regelmäßig Kundendaten von den Ventures, in die wir investiert haben.
Wir sind jetzt acht Jahre unterwegs und ich würde sagen, davon beschäftigen wir uns halbwegs ernsthaft seit drei Jahren mit dem Thema, obwohl wir schon vorher die Möglichkeiten gehabt haben. Das ist einfach ein Mindset Thema, denn jeder denkt “Ja, so, das mit dem Kreditkartendaten Betrug, das passiert woanders, aber nicht bei uns”. Das war sicherlich ein Punkt. Als dann das ganze Thema GDPR/DSGVO aufkam, hat uns das sicherlich auch nochmal dazu gebracht, alles zu reviewen. Können wir eigentlich gewährleisten, wenn da mal jemand reinschaut, dass wir einen ordentlichen Job machen? Konnten wir natürlich nicht!
Aus meiner Sicht können wir das aber jetzt im Rahmen der GDPR ganz gut. Das ist also ein großes, immer relevanteres Thema, denn es kann wirklich alles kaputt machen, das darf man nicht vergessen. Wenn irgendein Konkurrent kommt, der ein bisschen mehr bietet als Du, das nervt. Aber ein richtig massives Datenleck, oder ein richtiges Cybersecurity Problem kann deine Firma in den Ruin treiben.
Ich habe einen Freund, der ist Maschinenbauer, also ein ganz anderer Bereich. Aber bei seiner Firma hatte sich jemand aus Weißrussland gemeldet, der gesagt hat: 50.000 Euro oder Dollar überweisen, sonst legen wir Euren Maschinenpark lahm! Die Firma macht paar hundert Millionen Umsatz. Der IT-Leiter meinte „Das schaffe ich hier“. Die haben über ein halbes Jahr gebraucht, bis alles wieder lief und sie sich davon erholt hatten. Wir reden von einem Schaden über Dutzende von Millionen, der die Firma fast in den Ruin getrieben hätte.
Die Technologiekompetenz, die sie haben, die ist weniger im Digitalen angesiedelt, sondern eher im Bereich Hardware. Maschinenbau eben. Wenn die von Technologie reden, da geht’s immer nur um Hardware, was ist die bessere Maschine, usw. Aber solche Unternehmen betrifft das natürlich ganz genauso. Wir reden über eine durchaus reale Bedrohung, gegen die sich jetzt ein Zalando wahrscheinlich relativ entspannt wehren kann, wenn das erforderlich ist. Wir würden das wahrscheinlich auch hinkriegen. Aber andere Advertiser sind da nicht entsprechend aufgestellt. Das ist ein Riesenthema, absolut.
Schahab Hosseiny: Okay, verstanden. Das heißt, wenn es bei Euch erst im Rahmen der Due Diligence aufgetreten ist, bedeutet das, dass Ihr bei Euren Ventures tatsächlich mittlerweile auch gewisse Stresstests durchführt, um so eine Grundlage an Cyber-Security-Infrastruktur zu prüfen?
Dr. Florian Heinemann: Also, das war eine Due Diligence, die jemand Drittes bei uns gemacht hat. Aber wir müssen das natürlich auch bei unseren Ventures tun. Machten wir nicht ausreichend. Das war als Venture im Start-up-Bereich natürlich ein Riesenfehler.
Es ist ja häufig so, dass Du als Start-up nicht alles gleichzeitig machen kannst. Was machst Du also? Genau die Dinge, die Dir die nächste Finanzierungsrunde in 12 bis 18 Monaten sichern. Und dazu gehören halt so ein paar Themen gefühlt nicht, wie zum Beispiel Cybersecurity. Deswegen rede ich mir auch teilweise den Mund fusselig: Bau ein vernünftiges Data Warehouse auf!
Na klar, für eine Firma mit zwei Millionen Euro Umsatz brauchst du kein Data Warehouse. Die kannst Du auch mit einem Excel-Sheet führen. Aber wenn du Prozesse etablierst, die nicht über ein Data Warehouse gesteuert werden, und nicht lernst, wie das geht, dann ist die Umstellung irgendwann sehr, sehr schwer.
Wenn Du das natürlich Gründern erzählst, dann sagen die “Heinemann, die nächste Finanzierungsrunde ist in 12 Monaten. Ich investiere lieber in mein Kernprodukt, als die 200.000 Euro in so ein Data Warehouse und in zwei Typen zu investieren, die mir das Ding bauen”. Da hat es natürlich einen direkteren Return. Das gleiche gilt natürlich für Cybersecurity, und zwar zum Quadrat. Denn das ist ja nicht Umsatzrelevant. Cybersecurity ist ja nichts, was direkten Umsatz bringt, sondern etwas, das Umsatzverlust nur verhindert.
Und das ist, glaube ich, die psychologische Schwierigkeit von solchen Themen, gerade im Start-up-Bereich. Deswegen sind die meisten Start-ups da leider auch nicht hinterher und dadurch natürlich sehr verletzlich. Auf der anderen Seite sind sie relativ unattraktive Ziele, weil sie natürlich kleine Startups sind und da gibt’s viel interessantere Dinge. Insofern ist das vielleicht sogar okay.
Du brauchst ja auch nicht von Anfang an the fully fledged Data Warehouse. Aber Du solltest zumindest schon mal daran denken, wo Du in fünf Jahren sein willst. Was sind denn so Zwischenschritte? Das würde sicherlich auch im Thema Cybersecurity eine gewisse Rolle spielen, weil man dann wahrscheinlich gewisse Setup Entscheidungen, Architektur-Entscheidungen, Tool-Entscheidungen, usw. anders treffen würde.
Und da ist es schon ganz klar so, dass die Awareness dafür nicht ganz so ausgeprägt ist. Da muss ich sowohl uns hier an die langen Ohren fassen, als auch dem Start-up-Unternehmer oder der Start-up-Unternehmerin selbst, die natürlich letztendlich als Geschäftsführer für solche Themen mithaften.
Das darf man nicht vergessen: Du hast auch immer eine gewisse persönliche Haftung! Auch bei den Themen, die Du vernachlässigst. Häufig wird etwas naiv agiert, weil so ein Thema bei den Prioritäten immer wieder weiter nach hinten fällt.
Das nächste Thema: Chatbots und deren Einsatz in Unternehmen. Wie findet künstliche Intelligenz Anwendung? Wie kann sie integriert werden? Was leistet sie heute schon? Dr. Heinemann führt aus, wie AI eingesetzt werden, um gewisse Tätigkeiten oder Teilprozesse zu automatisieren. Wann Chatbots Sinn machen. Er nennt verschiedene Use Cases und wann bzw. wie der Übergabepunkt an den Menschen definiert sein muss.
Schahab Hosseiny erwähnt den Prosus-Artikel Dr. Heinemanns und schwenkt auf das Thema Aktienmärkte mit Tech Fokus.
Digital Tech Aktien und Prosus
Schahab Hosseiny: Ich glaube, da fällt es einem auch schwer, das rational herzuleiten. Vielleicht waren gewisse Verluste auch schon vorher irgendwie eingepreist. Aber sei’s drum. Wenden wir uns vielleicht einfach mal Prosus zu, dem mittlerweile wertvollsten Unternehmen in den Niederlanden. Hältst Du diese Bewegung eigentlich noch für Sachlogisch? Und wenn ja, was ist deine Hypothese? Und wenn nein, was ist Deine Prognose nach vorne und “stocks to watch”?
Dr. Florian Heinemann: Der Wert von Prosus hängt ja sehr stark an Tencent. Das ist ja sozusagen das Hauptasset von Prosus. Die sind schon echt gut aufgestellt. Also Tencent ist wahrscheinlich neben Alibaba der beste aufgestellte Spieler in China. Mit WeChat und verschiedenen anderen Properties. Deswegen ist das natürlich schon extrem attraktiv.
Ich glaube durchaus, dass Tencent und Alibaba im Vergleich zu – zum Teil – westlichen Aktien wahnsinnig viel wert sind. Das ist zumindest meine Wahrnehmung. Soweit ich weiss, liegt Alibaba mittlerweile bei 580, 600 Milliarden. Die waren ja mal bei 300, 400 und so. Vergleiche das mal mit Amazon, das mittlerweile bei 1,20 Billionen liegt. Alibaba kostet die Hälfte von Amazon. Da kann man sich schon darüber streiten, wo jetzt das Wertsteigerungspotential noch höher ist.
Und das gleiche gilt sicherlich für für Prosus/WeChat, zumal da noch eine Reihe von anderen interessanten Assets drin sind. Also, wer Naspers verfolgt hat, da ist sowas wie Mail.ru drin, da ist die OLX-Gruppe drin – eine der stärksten Marktplatz Gruppen mit Mittel- und südamerikanischen Fokus.
Ich glaube schon, dass die überproportional positive Entwicklung von Tech Aktien okay ist. Covid hat gezeigt, wie überlegen digitale Geschäftsmodelle im Vergleich eigentlich sind. Und auch wie resilient sie sind. Da musst Du gar nicht irgendwie auf Zoom gucken, sondern eben eher sicherlich auch auf Amazon und so weiter. Die haben eben sehr stark davon profitiert.
Ob jetzt das Ausmaß der Steigerung da noch gerechtfertigt war, darüber kann man sicherlich streiten. Wenn Du Dir mal den Plattform-Index von Holger Schmidt anschaust, den ich ganz cool finde, der bündelt die wesentlichsten Plattform-Unternehmen, und da ist eben auch Prosus mit dabei. Der Index ist jetzt schon wieder auf Vor-Corona-Stand. Und das an sich halte ich für rational.
Worüber man sich aber streiten kann, ist, ob die absolute Höhe so gerechtfertigt ist. Gerade auch bei Unternehmen wie Google, wo man sich dann natürlich schon fragt: Wie kann das jetzt eigentlich noch weiter wachsen, denn noch härter monetarisieren können die eigentlich kaum? Aber trotzdem wuchsen die auch letztes Quartal wieder. Also, ich bin mal echt gespannt auf das nächste Quartal!
Bei Amazon sehe ich jetzt nicht, warum die nicht so weiter wachsen sollten. Was mich total erstaunt ist Apple. Apple finde ich aus meiner Sicht total überbewertet. Sie sind viel zu abhängig von Hardware Produkten. Apple Aktien würde ich jetzt nicht kaufen. Aber das ist ja auch meine persönliche Einschätzung. Ich glaube, man darf öffentlich gar keine Aktientipps geben, da macht man sich strafbar.
Okay, es reicht ja wenn Du in Nasdaq kaufst. Dort dominieren die Tech Aktien. Der Nasdaq wird sehr stark von den gerade genannten Spielern dominiert, plus Microsoft und so weiter. Ich glaube, die Empfehlung, dass der Nasdaq sich wahrscheinlich auch die nächsten 15 Jahre überproportional entwickeln wird, die ist jetzt nicht verwegen.
Schahab Hosseiny: Die ist nicht aus der Luft gegriffen.
Dr. Florian Heinemann: Es ist ja auch immer eine Frage der Alternativen, das darf man auch nicht vergessen.
Schahab Hosseiny: Das stimmt.
Dr. Florian Heinemann: Wo willst du sonst investieren? Wir haben ja eine insgesamte Asset Price Inflation: Was ist billig heute? Dann setze ich lieber auf die Dinge, die eine positive Zukunftsprognose haben. Und das haben Digital Tech Aktien jetzt wahrscheinlich nochmal bewiesen. Aber klar, wenn keiner mehr Geld hat, weil der Rest der Wirtschaft irgendwie abraucht, dann können die Advertiser natürlich auch weniger Geld für Google Klicks ausgeben.
Schahab Hosseiny: Das ist eine valide Herleitung, definitiv. Du, Florian, wir haben ja tatsächlich noch einige Fragen, aber wir haben wenig Zeit. Aber eine Frage hätte ich dennoch. Vielleicht versuchst du die ein bisschen komprimierter zu beantworten.
Dr. Florian Heinemann: Sorry, kurz kann ich nicht gut.
Schahab Hosseiny: Du machst das super. Also auch sehr, sehr kurzweilig. Aber vielleicht die letzte Frage dahingehend nochmal. Wir hatten heute ein bisschen was über Psycho-Marketing gehört und auch über Mikromarketing. Und jetzt steht ja demnächst auch wieder eine ganz, ganz große Wahl in den Staaten an.
Der Cambridge Analytica Skandal passt ja auch zu dem Thema. Gerade hat Facebook sich in eine ganz schwierige Situation hineinmanövriert. Solche Datenskandale können ja so große Tech-Konzerne sehr schnell in die Knie zwingen. Dieser Skandal scheint ja auch schon wieder schnell von der Agenda verschwunden zu sein.
Wie wahrscheinlich hältst Du es, dass wir demnächst Cambridge Analytica 2.0 erleben werden? Die Themen psychologisches Marketing, Mikrotargeting und Co. sind ja immer noch in aller Munde und scheinen ja auch weiterhin gut zu funktionieren.
Wie ist Deine Position dazu? Müssen wir aufpassen, dass wir uns da jetzt nicht erneut Trust verspielen und noch härter reguliert werden? Also haben wir es aktuell selber in der Hand?
Dr. Florian Heinemann: Erstmal ist dagegen ja nichts einzuwenden. Der Versuch, auf das psychologische Profil eines Nutzers einzugehen, um die richtigen Botschaften in der richtigen Art und Weise zu formulieren und zu verpacken, das ist ja erst einmal wertneutral.
Das hatte ja nur deshalb diesen negativen Touch bekommen, weil Facebook nicht so hundertprozentig aufgepasst, die Daten falsch genutzt und eben doch nicht gelöscht hat, wie sie sich verpflichtet hatten. Sie haben sie weiter genutzt und dann mit diesem Persönlichkeitstest gemischt, usw. Aber an sich ist dagegen ja nichts zu sagen, weil es letztendlich ja zu relevanterer Werbung führt.
Negativ wird das Ganze natürlich nur in der Art und Weise, wie Cambridge Analytica das eingesetzt hat, um Menschen gezielt zu manipulieren und natürlich auch gezielt die Unwahrheit zu verbreiten. Und darauf werden wir uns wieder einstellen müssen, absolut.
Ich denke, es ist sehr aufwändig, das zu machen, weil es sich nicht so leicht automatisieren lässt. Du brauchst ja immer beides: Ein sehr feines Targeting auf Basis von psychografischen Merkmalen und eine sehr feingliedrige Aufbereitung von Content. Welche Art von psychografischen Profil benötigt denn welche Art von Botschaft, die wie formuliert sein muss? Das ist ja gar nicht so einfach!
Du brauchst ja letztlich zwei Feeds. Du brauchst ein Segment Feed und du brauchst einen Content Feed. Beides muss ja systematisch zusammengebracht werden. Und Cambridge Analytica hatte aber diesen Part verschwiegen. Das ist ja ein Monster Aufwand – auch manuell – gerade diesen Content Feed so aufzubereiten, dass Du ihn gut auf psychologische Segmente oder psychografische Segmente matchen kannst.
Aber klar, wenn jetzt hier wieder mehrere hundert Millionen oder Milliarden Dollar für Werbung ausgegeben werden, wie das ja in den USA in der Wahlwerbung passiert, dann lohnt sich natürlich auch der Aufwand, so etwas zu tun.
Insbesondere, weil wir natürlich auch gesehen haben, wie effektiv es ist, Menschen darüber zu manipulieren. Und das wird für Facebook wieder extrem schwer: Sollte man jetzt Trump bei klaren Lügen zensieren? Meinungsfreiheit ist in den USA ein hohes Gut. Aber Lügen? Ist das noch Meinungsfreiheit? Bösartiges Lügen? Ist das noch Meinungsfreiheit? Ja, das sind alles so Fragen, die echt keine triviale Herausforderung sind, und wir können uns mit Sicherheit auf sie einstellen.
Weil Donald Trump oder sein Team leider erkannt haben, wie gut das funktioniert. Guck Dir an, in welchem Maße die Wählerschaft von Trump von irgendwelchen Realitäten losgelöst ist. Dieser Zustand muss ja erhalten werden, denn das ist ja der einzige Weg zur Wiederwahl für Trump. Der wird alles tun, um das zu halten. Das heißt, es wird ein total beschissenes zweites Halbjahr für alle Menschen, die daran geglaubt haben, dass das Internet die Welt zu einer besseren macht. Das wird ein Desaster!
Die Frage ist, ob sich ein Facebook bei der Meinungsfreiheit mal eben zurückziehen kann oder irgendwann mal einen Standpunkt einnehmen muss. Und du merkst ja eben auch schon, dass der Druck innerhalb der Mitarbeiterschaft höher wird. Die ersten Mitarbeiter gehen auch, weil sie sagen, dass sie das nicht wollen. Es wird ein sehr, sehr heißer Herbst. Und die US-Wahl wird, glaube ich, wieder ein Schauspiel par excellence werden. Und da werden solche Themen eine riesige Rolle spielen.
Schahab Hosseiny: Chaotische Zeiten vor uns im digitalen Zeitalter. Der wilde Westen kehrt auch digital wieder zurück, wenn er denn irgendwann mal weg gewesen ist.
Dr. Florian Heinemann: Aber unabhängig von diesem Datenskandal. Der ist ja sozusagen das Tüpfelchen auf dem i. Ich glaube, allein die inhaltliche Thematik wird ja – selbst wenn da keiner Daten klaut – schon für genügend Sprengstoff sorgen.
Schahab Hosseiny: Absolut. Da bin ich fest von überzeugt. Florian, herzlichen Dank. War sehr, sehr kurzweilig. Wir haben nicht mal alle Fragen geschafft. Ich liebe es ja an Dir, dass Du wirklich so einen Deep Dive machst.
Und unser Publikum hat das mit Sicherheit genauso genossen wie ich. Ich sage erst einmal herzlichen Dank für Deine Zeit und würde mich freuen, Dich bei der nächsten OMKB – falls du Zeit haben solltest – wieder als Speaker begrüßen zu dürfen. Herzliche Grüße nach Berlin. Habe weiter eine gute Zeit und komme vor allem gesund durch die Covid-19-Phase.
Dr. Florian Heinemann: Ich bemühe mich. Euch noch eine gute Zeit in Osnabrück. Ciao, ciao!
FAQ zu Dr. Florian Heinemann
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