Christoph Bornschein ist Gründer und Geschäftsführer der Agentur TLGG. Torben, Lucie und die gelbe Gefahr. Mittlerweile zählt das digitale Unternehmen 200 Mitarbeiter an den Standorten in Berlin Kreuzberg und in New York City. Er berät internationale Unternehmen, Marken und staatliche Institutionen bei der strategischen Nutzung digitaler Technologien, zu digitalen Businessmodellen und Markentransformation. Zu den Kunden von TLGG gehören Unternemen aus der Pharmaindustrie, Mobility und Finance, wie beispielsweise Bayer und Lufthansa.
Video mit Christoph Bornschein
Christoph ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und ein gefragter Speaker auf den namenhaftesten Konferenzen und Kongressen. Bei TLGG betreut er Kunden wie Hansgrohe, Deutsche Bahn, Fritz Cola oder auch die BARMER. Seit Juni 2020 sitzt er im Verwaltungsrat des Ökostrom Anbieters Lichtblick. Auch dort berät er zu Technologien und Markenfragen.
Podcast mit Christoph Bornschein
Christoph hat uns für einen spannenden Q&A Talk in unserem Berliner Hauptstadtstudio besucht und gewährte uns spannende Einblicke in seinen beruflichen Alltag als aktiver Treiber der digitalen Wirtschaft.
Mario Rose: Hallo Christoph, schön dass du da bist.
Christoph Bornschein: Schön hier bei euch zu sein.
Mario Rose: Christoph, du bist neben all deinen Tätigkeiten auch mit Beiratsmandaten aktiv. Unter anderem bei der Lufthansa oder auch ehemals bei der Deutschen Bank. Die t3n schreibt über dich: “Er ist bekannt für seine schnelle Art zu reden und in kürzester Zeit mit möglichst vielen Fachbegriffen über Digitalisierung um sich zu werfen”, und nennt dich den “Papst der digitalen Transformation”. Du wurdest jetzt gewählt in die Young Global Leaders Class 2021 vom World Economic Forum. Herzlichen Glückwunsch in deine Richtung. Wie ist das, wenn so etwas passiert, Christoph? Explodiert dann dein Newsfeed oder ist das “Business as usual”?
Christoph Bornschein: Das ist nicht Business as usual. Wir reden über Nachwuchspolitiker und wirklich einflussreiche Menschen >40 weltweit. Ich bin gerade noch dabei herauszufinden, was das überhaupt bedeutet. Man ist plötzlich mit der HR-Chefin von Softbank in Video-Calls. Das ist schon extrem beeindruckend und groß. Wie groß, weiß ich noch gar nicht.
“Meine Welt erklären mir Claus Kleber und Marietta Slomka.”
Mario Rose: Und wie kann man sich das vorstellen, wenn ihr in so einem Circle zusammenkommt? Über welche Themen wird dort gesprochen? Ist das mehr ein Kennenlernen oder habt ihr eine konkrete Agenda?
Christoph Bornschein: Das Ganze hat im März begonnen und geht gerade erst los. Das World Economy Forum in Davos ist natürlich auch eine traditionelle und physische Veranstaltung. Man merkt ein bisschen, das ist das erste Jahr, in dem sie vollkommen virtuell unterwegs sind. Sie versuchen gerade die Interaktionsformate in das Virtuelle zu übersetzen. Sie sind damit zwar etwas langsamer als andere Organisationen, aber auch ein wenig älter. Deshalb geht es dabei auch noch viel um das Kennenlernen.
Insgesamt geht es immer um die Frage des Impacts auf die Entwicklung der Welt. Darauf wird schon sehr geachtet. Ich habe jetzt ein paar Sachen zu der Digitalisierung im Gesundheitssystem erarbeitet. Ich mache mehr als nur die Wachstumsseite der Digitalisierung. Gerade im politischen Raum und bei anderen Gelegenheiten geht es um Fragen, wie die Teilhabe digitaler Technologie. Es geht wirklich darum: Wie kann Technologie in diesem WGL Kontext die Welt verbessern?
Mario Rose: Ein richtiger und komplexer Ansatz, wie ich finde. ‘Wie kann ich die Welt verbessern’, sind Themen, in denen du dich wohlfühlst. Ich habe einmal gelesen, dass dein Tag bei Twitter beginnt. Zumindest war es vor einigen Jahren noch der Fall. Deine Morgenroutine ist es, alle relevanten News in einem Twitter Feed durchzugehen. Ist das noch immer so oder hast du keine Lust mehr weiter reinzuschauen, weil du zu viele negative Nachrichten im Feed erhältst?
Christoph Bornschein: Die Suggestion ist total richtig. Ich glaube, so geht es uns allen. Was total gefährlich ist, denn wieviel von negativen Nachrichten hält man aus? Twitter ist ein Medium, in dem das sehr kondensiert und schnell sarkastisch wird. Noch im Bett liegend rufe ich den Twitter Feed auf.
Manchmal habe ich auch keine Lust dazu, weil es wie der Headshock–Day ist. Wir sitzen da und jeder Tag ist wieder ein Murmeltier-Tag. Das macht Nachrichten im Allgemeinen nicht spannender und das regt sich natürlich auch auf Twitter. Ich erlaube mir nicht rauszugehen. Das machen viele so. Ich lese keine Nachrichten mehr, damit ich nicht so schlecht gelaunt bin. Ich finde, man muss das irgendwie alles aushalten. Aber viel Freude macht das nicht gerade. Ich lese zum Beispiel auch nicht mehr vor dem Einschlafen Twitter, weil ich die Laune dann irgendwie mitnehme.
Mario Rose: Ich habe gesehen, dass für viele die Tagesschau wieder zum festen Medien Konsum Punkt geworden ist und dort die Durchdringung der Zielgruppen wesentlich höher wird. Wir haben auch morgen die Tagesschau bei uns mit im Programm. Aber das ist etwas, das es noch nicht wieder in deine Relevanz geschafft hat, oder?
Christoph Bornschein: Ich habe noch nie die Tagesschau geschaut. Wir sind eine “ZDF Heute Journal Familie”. Meine Welt erklärt mir Claus Kleber und Marietta Slomka. Also nicht ganz so tradiert. Ich bin in dem 55 plus Medium, nicht in dem 65 plus Medium.
Torben, Lucie und die gelbe Gefahr
Mario Rose: Reden wir ein wenig über Torben, Lucie und die gelbe Gefahr. Fränzi, ist die Lucy in der Namensgebung, soweit ich informiert bin. Boontham und sie, die dich jahrelang begleitet haben, haben das Unternehmen verlassen. Du hast dich aber dafür entschieden, TLGG weiterzuführen. Was war für dich der Hauptbeweggrund oder hast du dir nie diese Frage gestellt?
Christoph Bornschein: Doch, ich überlege mir das jedes Mal. Wir haben das zusammen gegründet und das Versprechen war immer: Wir werden das zehn Jahre lang zusammen machen und ab diesem Moment wäre jeder frei und könne tun was er möchte. Zehn waren es im Jahr 2018. Insofern sind wir bereits in der Verlängerung. Boontham ist ein bisschen älter als ich. Deshalb war immer klar, dass er nicht bis 50 arbeiten möchte. Das wäre in diesem Jahr.
Man muss Verträge immer in Zeiträume verlängern. Er wollte den Vertrag nicht über dieses Datum hinaus verlängern, er wollte auf Weltreise gehen. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie erfolgreich das war. Er hat es noch los geschafft, ist dann jedoch aus Myanmar rausgeschmissen worden. Das ist jetzt ein Jahr her.
Bei Fränzi ist es ein ähnliches Thema. Sie hatte eine kleine Tochter – inzwischen zwei Töchter – und wollte noch einmal die Welt sehen, bevor diese in die Schule kommt. Das hat sie natürlich jetzt auch nicht gemacht. Sie hat ein Buch geschrieben, das jetzt im Mai rauskommt. Bei beiden war einfach der “Ich muss noch einmal etwas anderes gesehen haben”-Moment erreicht und das kann ich gut verstehen. Das war immer eine Diskussion, die wir geführt haben.
Auch ich musste die Entscheidung vor Corona treffen. Ich konnte auch nicht sehen, was auf uns zukommen würde. Für mich fühlte es sich an, wie “Die Reise ist noch nicht vorbei und es gibt sehr viel, was wir erreichen können”. Wir haben das ein Jahr zusammen vorbereitet und mit Steffi Lüdecke, von ProSieben, eine sehr gute Nachfolgerin auf der Operations-Geschäftsführung Position gefunden.
Meine Idee war, den Brückenkopf zu bauen und dann nach Asien zu gehen, nachdem wir in New York angefangen haben. Meine Assistentin hat in meinem Kalender immer die Städte darüber stehen, in denen ich an einem Tag bin. Das hat sie auch nicht gelöscht. Als sich die Corona Krise dann immer weiter verschärfte, gab es Tage, an denen es aufploppte: Delhi, Singapur.. und ich saß alleine im Büro in der Küche und dachte: “Scheiße. Das wäre so schön gewesen.” Für mich war es ganz klar auf dem Plan. Wir müssen jetzt diesen Asien Schritt machen. Das hat sich dann verzögert. Aber da knüpfen wir wieder an, wenn es planbarer wird.
Pendeln zwischen Berlin und New York – dann kam Corona
Mario Rose: Du hast es gerade angesprochen. New York City gehört bei euch schon länger als Standort mit dazu. Ihr gehört auch selber zu Omnicon. Wie intensiv ist in einer normalen Geschäftsumgebung für dich die Beziehung zu New York? Wie häufig bist du in der Vergangenheit vor Ort gewesen? Und daran anschließend die Frage: Wie meisterst du das jetzt?
Christoph Bornschein: Also, für mich ist New York extrem wichtig. Wenn du einen Kunden in den USA gewinnst, ist es hier in Deutschland immer so, als ob du deine halbe Agentur mit Kunden füllen würdest. Die Dimension stellt man sich irgendwie immer so vor. Aber sie ist auch enorm. Und das merkt man erst, wenn man dort Business macht. Als wir Ford in den USA gewonnen haben, die wir auch in Detroit betreuen, war es ein unfassbar riesiger Account, den man so kurzfristig einfach nicht in Deutschland gewinnt. Insofern ist es für uns strategisch enorm wichtig.
Wir haben auch deutsche Kunden betreut, die Bayer und die BASF dieser Welt. Deshalb bin ich eine Woche im Monat von Berlin nach New York gependelt. Das klappte auch sehr gut, weil es einen Direktflug mit United gab. Ich mache das aber seit einem Jahr nicht mehr. Für mich fing Corona am 12. März an. Ich weiß es noch, weil es nach meinem Geburtstag geschah. Ich war auf dem Weg nach New York und Trump verkündete, dass ab morgen keine Europäer mehr in die USA kommen. Daraufhin habe ich um vier Uhr morgens meine Flüge gecancelt. Und das war es dann mit rüber fliegen.
“Heute heißt es vorwiegend: Videokonferenz.”
Heute heißt es vorwiegend: Videokonferenz. Ich dürfte auch gerade nicht in die USA, da man vorher in Quarantäne müsste. Es ist sehr schwer, die Leute nicht zu sehen. Katrin ist geblieben und leitet von dort. Zwischendurch hat es die USA ganz anders getroffen. Wir hatten Kollegen, die 35 Tage am Stück nicht außerhalb ihre Wohnung durften und mit Amazon Lieferpaketen versorgt wurden. Du wolltest nicht rausgehen, weil du nicht krank werden wolltest und weil es keinen Platz mehr in den Krankenhäusern gab. Das war psychologisch schon sehr viel schwerer. Jetzt dreht sich das ein bisschen.
In New York kannst du auch drinnen wieder in ein Restaurant gehen. Wir haben alle Impftermine. Jetzt kannst du dir angucken, wie es sich andersherum anfühlt. Jetzt sitzen wir in der Situation und dort bewegt es sich gerade schneller wieder heraus. Die Stimmung ist in New York besser als bei uns. Aber mein Plan ist, im Mai, nach meiner Impfung, wieder hinzufahren. Persönlicher Kontakt ist nicht durch etwas anderes zu ersetzen.
So hat sich TLGG im vergangenen Jahr verändert: Offsite im Office
Mario Rose: Wie ist es für dich als Geschäftsführer? Du stehst vor 200 Mitarbeitern. Arbeitest du selbst auch noch auf so großen Etats, bei Kunden wie Ford? Und wie hat sich eure Agentur-Kunden-Beziehung im letzten Jahr verändert? Ist es wesentlich dynamischer und entscheidungsfreudiger geworden, auch auf der Kundenseite? Was kannst du mir berichten, wie ihr das seitens der Agentur erlebt?
Christoph Bornschein: Man muss dazu ein bisschen verstehen, wie TLGG innen funktioniert. Ich glaube, das muss man noch einmal erklären. Wir sind zwei Agenturen und eine Top Management Beratung. Dann gibt es die TLGG Consulting in der Gruppe und dadurch sind die Effekte immer ein bisschen unterschiedlich, weil die Geschäftsmodelle unterschiedlich funktionieren. Operativ bin ich noch bei Kunden. Bei Ford nicht mehr, weil ich gerade nicht hinkomme.
Es macht keinen Sinn, mich dann zum Projektteam zu erklären. Bei anderen europäischen Kunden natürlich weiterhin. Im Agentur Bereich nehmen wir wahr, dass das aktuelle Setup am Ende das Arbeiten ein bisschen abflacht. Kreativität in Remote-Umfeldern entsteht nicht so geil, wie, wenn sich Menschen in einem Raum befinden und brainstormen. Das technisch zu ersetzen war schon schwer.
Auf der Consulting Seite sieht man, dass es zu einer neuen und auch sehr angenehmen Nüchternheit kommt. Consulting Projekte finden häufig beim Kunden vor Ort statt. Ob das immer sinnvoll war, hat vor Corona niemand jemals hinterfragt. Jetzt, da es nicht mehr geht, stellt man fest: Es geht auch relativ effizient ohne, dass man 3 Tage beim Kunden sein muss. Insofern finde ich es pragmatisch, an den Projekten in der Agentur zu arbeiten.
Wir fragen uns, wie du die Formate wieder hinbekommst. Projekte der kreativen Zusammenarbeit, die jetzt nicht mehr so wirksam sind. Sind wir noch kreativ genug? Geht da nicht viel verloren? Wir haben jetzt in der Umsetzung der Corona Maßnahmen bei uns einfach mal ein Format entwickelt. Das habe ich Tim Mois von Sipgate geklaut, um es ganz offen zu sagen. “Offsite im Office”, heißt es.
Wir erlauben einzelnen Teams zu fünft oder sechst eine abgeschlossene Etage zu nutzen. Mit Corona Tests und allem drum herum, um somit tageweise Offsite zu generieren – aber im Büro. Um einfach wieder zusammenzukommen und irgendeinen anderen Fluss von Zusammenarbeit hinzubekommen. Gerade wenn jetzt die Zahlen wirklich noch einmal steigen. Ob wir das aufrechterhalten können? Meine Hoffnung ist, dass wir viel von unserer Kultur und Zusammenarbeit wieder zurückbekommen. Auf Kundenseite, finde ich, ist es für uns ziemlich gut gelaufen. Da kann man sich nicht beschweren. Es geht eher um unsere Kultur im Inneren.
Mario Rose: Hast du schon erste Lerneffekte aus dem Onsite Thema, z.B. wie du es gerade umsetzen möchtest? Oder ist das etwas, das jetzt gerade noch frisch ist?
Christoph Bornschein: Wir fangen heute an, weil wir ein paar ganz praktische Probleme hatten. Versuch einmal kurzfristig 700 Corona Tests zu kaufen. Das ist gar nicht so einfach. Wir haben sie jetzt, aber sie waren der limitierende Faktor, dies zu tun. Denn uns war vollkommen klar: Wir können keine Menschen im Büro zusammenpacken, wenn wir nicht jeden Tag Schnelltests ermöglichen können. Also mussten wir das erst einmal lösen, bevor wir irgendwie den nächsten Schritt gehen konnten.
Neue Erlösmodelle und Arbeitsstrukturen – Instrumente, die durch die Krise helfen
Mario Rose: Gehen wir einen Schritt weiter weg von TLGG. Bleiben aber erst einmal bei den besonderen Rahmenbedingungen, die unser Geschäftsleben aktuell kennzeichnen. Wenn wir in Deutschland auf unseren Mittelstand schauen, gegebenenfalls auch mit einem Seitenblick auf die Konzern Ebenen in denen du auch bewandert bist und dich gut auskennst: 81 Prozent der Mittelständler sagen, dass sie ihren Fokus im Moment auf Digitalisierungsprojekte legen – im Vergleich zu einer Umfrage mit 59 Prozent, die vor Covid 19 durchgeführt wurde.
Man muss schon deutlich feststellen, der Mittelstand fokussiert sich wesentlich stärker auf Digitalisierungsthematiken. Jetzt bietet Covid 19 insbesondere für unseren Mittelstand eine ganze Menge an Chancen, aber gleichzeitig auch Risiken. was meine ich für Chancen? Chancen, neue Erlösmodelle und Arbeitsstrukturen, die sich wesentlich stärker und schneller verändern als sie ohne Covid 19 eingetreten wären. Ich kann das in Jahren schwer bemessen. Aber der Fortschritt ist sicherlich schon eklatant.
Schauen wir uns das einmal unter der Lupe an. Was denkst du: Wie bewegt sich gerade auch unser Mittelstand aktuell durch diese verändernden Rahmenbedingungen? Schaffen wir es wirklich, dieses eine Jahr in einer Dekade für echte Innovation und Transformation zu nutzen? Oder siehst du eher, dass wir uns vielleicht in der Prozessoptimierung verbessern, es aber eben tatsächlich nicht schaffen, entscheidende Veränderungen herbeizuführen?
Christoph Bornschein: Ich würde gerne eine total positive Antwort geben, wie es in der Statistik zu sein scheint. Das ist aber eher eine relativ polarisierte Situation. Diejenigen, die die Chance ergreifen, machen gerade viel daraus. Du siehst das ganze Thema B2B und E-Commerce. Also klassische Wertschöpfungsketten zwischen Unternehmern und Handel mit Unternehmer zu Unternehmergütern. Dann merkst du, dass es Aufholeffekte gibt.
Wie machst du eigentlich digitalen Vertrieb für komplexe Produkte? Davon sehen wir gerade viel. Im ganzen Thema Prozessautomatisierung oder Prozessverbesserungen hat es zwischendurch eine Phase gegeben, in der überhaupt keiner mehr irgendwelche strategischen Investitionen tätigte. Das ist jetzt wieder vorbei. Du merkst aber immer noch, dass für viele die Planbarkeit des nächsten Schrittes noch nicht wieder zurück ist.
“Die sehen, dass ihre vorher getätigten Investitionen jetzt total abgehen. Klöckner & Co hat ein Hochlauf auf digitalen Stahlhandel in der Krise. Das hatten wir nicht erwartet. Da haben sich die Investitionen ausgezahlt und die investieren jetzt natürlich hinterher.”
Ich glaube, wir unterschätzen es, wie viele im Maschinenbau noch immer in Kurzarbeit sind. Das ist keine Situation, in der du große Summen in die Hand nimmst und große strategische Würfe tätigst. Wir sehen eben, dass es jetzt gerade wieder losgeht. Der Business-Process-Mining und Robotik Process Automation-Markt nimmt jetzt wieder ein bisschen Fahrt auf. Es sind kleine taktische Verbesserungen, ohne einen großen strategischen Wurf zu sehen. Und dann hast du einzelne Ausnahmen und Leuchttürme, die es verstehen.
Jetzt ist der Moment gekommen, ganz radikal darüber nachzudenken. Die sehen, dass ihre vorher getätigten Investitionen jetzt total abgehen. Klöckner & Co hat ein Hochlauf auf digitalen Stahlhandel in der Krise. Das hatten wir nicht erwartet. Da haben sich die Investitionen ausgezahlt und die investieren jetzt natürlich hinterher. Das zweite große Beispiel, das immer wieder zitiert wird, ist HAPAG Lloyd. Die haben Digitalisierung von Reedereien und Reederei-Transaktionen umgesetzt. Das bleiben aber wenige Beispiele.
Es ist kein konsistenter Alle-Legen-Jetzt-Los-Trend. Ganz im Gegenteil. Du siehst in der Pharmaindustrie unglaublich viel, weil der Pharma-Vertriebler jetzt schlecht zum Arzt fahren kann. Deshalb gibt es dort viele Online-Channel-Businesses. Mittelstand und deutschen Maschinenbau habe ich lange nicht mehr so wenig an großen strategischen Fragestellungen gesehen, wie aktuell. Das ist wirklich sehr taktisch.
Mario Rose: Natürlich gibt es viele und wichtige Instrumente, die durch die Krise helfen. Kurzarbeit hast du selbst genannt. Diverse Unternehmer helfen aber auch Branchen, die sich erst einmal alleine gelassen fühlen. Beispielsweise Touristische Unternehmen, der Einzelhandel, die Event Branche und Co.
KfW-Kapital bringt die Innovationswelt in Deutschland voran
Christoph Bornschein: Vergiss eines nicht: Die KfW Matching und Corona Fazilität. Die Mittel, die die KfW gerade in Venture-Capital packt oder direkt in Investitionen, sind tatsächlich relativ wichtig. Das sieht man gerade im Affekt. Finanzierung von Startups klappt aktuell gut, das ist fast ein antizyklischer Moment. Der Innovationsindustrie, die auf die nächste Finanzierungsrunde angewiesen ist und schon irgendwie Traktionen zeigt, haben die KfW Hilfen extrem geholfen. Ein Absinken der Investitionsrunden haben wir nicht gesehen und das ist auch interessant in so einer Krise.
Mario Rose: Toll, dass du das erwähnst. Das war mir selbst gar nicht bewusst. In dem Zusammenhang, wenn wir auf die Unternehmerebene und den Absatz der Startups schauen: Würdest du sagen, dass wir im Blick auf die politischen Entscheidungen hier gute Rahmenbedingungen geliefert haben? Auch zur Unterstützung von Innovation und Transformation in dieser Vokal Zeit oder siehst du insbesondere einzelne Instrumente aktuell sehr kritisch?
Christoph Bornschein: Die Antwort ist, wie immer, dialektisch. Ich glaube, wir können von Glück sagen, dass wir Arbeitsmarktmittel wie Kurzarbeit haben, damit wir Industrien nicht kurzfristig einbrechen sehen. Was jetzt noch kommt, das wird man sehen, wenn sich der Nebel lichtet. Die spanische Industrie muss sich mehr Sorgen machen, weil es eben weniger Backing gibt. Schnelle und kurzfristig auslaufende Unterstützungsmittel.
Wir leben schon im bestmöglich ausgestatteten europäischen Land und das hat natürlich auch eine Konsequenz darauf, wie gut hier unsere Industrie durch die Krise kommen wird. Von den KfW Mitteln abgesehen, die ich wirklich gut finde. KfW-Capital wird dazu beitragen, dass die Innovationswelt in Deutschland durchkommt.
Wo ich ein bisschen skeptisch bin, ist bei der Frage: Sind das die richtigen Impulse? Also, investieren wir nicht eigentlich nur in Bewahrung und ein bisschen zu wenig in Erneuerung? Wenn du dir die USA anschaust und gerade, was Biden jetzt mit diesen ganzen Recovery-Investitionen macht, scheint dort gerade ein Plan zu entstehen. Erneuerung von Infrastruktur, Erneuerung von Industrien. Eher Investitionen vor der Welle als hinter der Welle.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich in die richtigen Sachen investieren oder den Status quo nicht einfach nur mit viel Geld einfrieren. Da bin ich ganz skeptisch und sehe anderswo mehr, wie beispielsweise Green-Recovery. Frankreich hat kommunikativ einen anderen Ansatz. Da wird innovativer investiert und nicht einfach nur ein “Wir werfen jetzt Geld drauf, damit alles bleiben kann, wie es ist.”
Unser einziger Rohstoff ist unser Wissen
Mario Rose: Genau, die Absicherung des Status quo und eine gewisse Rückwärtsgewandtheit, zumindest in einzelnen Beispielen. Wir kommen aber gleich erneut darauf zu sprechen. Lass uns bei den Rahmenbedingungen der politischen Generation bleiben. Das ist ebenfalls ein Thema, das mich auf persönlicher Ebene sehr beschäftig: Wie können wir es hier bei uns in Deutschland schaffen, die nächste Generation handlungsfähiger zu gestalten? Gerade in solchen Themenfeldern, über die wir sprechen, beispielsweise Innovationen, Unternehmertum, Bildung rund um Software, Robotik und ähnliches.
Mein ältester Sohn geht in die vierte Klasse. Wir überlegen aktuell, welche weiterführende Schule für ihn passend sein könnte. Wir schauen uns den ein oder anderen Tag der offenen Tür auch an. Die Schulen bekommen es mittlerweile auch sauber hin, so etwas virtuell zu veranstalten. Was ich jedoch merke: Es gibt dann Kurse für Astronomie und diverse Geschichtsebenen. Etwas wie Robotik, saubere iPad-Rollouts oder Android-Tablets, auch Software Programmierkurse und ähnliches sind jedoch weiterhin in den weiterführenden Schulen offensichtlich immer noch die Ausnahme. Auch, wenn sich im letzten Jahr viel getan hat. Was müssen wir tun, um hier besser zu werden?
Christoph Bornschein: Man kann jetzt das große Föderalismus Klagelied singen. Es funktioniert nicht gut bei der Primärbildung. Das ist einfach festzuhalten. Wir sind der Meinung, jeder kann für sich selbst entscheiden, ob man von Klasse 1 oder 13 sechzehn Mal unterschiedlich ausbilden muss. Ob das jedoch eine gute Idee ist? Ich finde, es ist keine. Man kann dieses Thema eigentlich nicht diskutieren. Ich habe das Thema mit verschiedenen Kultusministern in verschiedenen Ländern diskutiert. Man kommt immer nur wieder zu diesem Punkt. Es ist beliebig anstrengend bis unlösbar. Das muss jeder selbst entscheiden. Keiner hat große Kooperationslust.
Der Digitalpakt ändert jetzt auf der Hardware-Verfügbarkeit ein paar Sachen. Es gibt jetzt iPads. Dann fällt einem auf, ein IT-Admin in der Schule wäre nicht schlecht. Wir kommen trotzdem nicht dahin, dass in unserem Bildungssystem ein digitales Betriebssystem Einzug hält. Wir schmeißen jetzt mit großen Investitionen umher und hoffen, dann würde sich irgendwie das Lehrkonzept ändern.
Das Problem fängt ja an anderer Stelle an und das ist dann doch wieder Bundessache. Beispielsweise, wie wir Lehrer ausbilden. Das Problem vor dem Problem ist also immer noch vor “digital”. Wir haben an Universitäten auch einen Investitionsrückstau. Du hast darüber gesprochen, es gibt wenig gute staatliche Universitäten mit so einer Ausbildung. Dann verlassen wir uns auf Mäzenen wie Susanne Klatten mit dem Unternehmertum in München oder auf Plattner mit dem HPI in Potsdam, die irgendwie gut funktionieren und auch Unternehmen herstellen. Das Schaffen staatliche Universitäten nicht und da kannst du beliebig weiter deklinieren.
Wir sind am Ende und darüber habe ich lange mit Frau Karliczek diskutiert. Ich komme dann immer zu dem Punkt und denke, “Okay, die nächste Legislatur wird es dann wohl richten müssen”. Ab September geht es wieder los. Wir haben überall einen unfassbaren Innovationsstau. Wir haben keine Diamanten irgendwo herumliegen. Natürliche Rohstoffe sind für Deutschland nicht das Thema. Unser einziger Rohstoff ist unser Wissen und da sind wir gerade unter-investiert und machen es dann auch noch schlecht.
Organisation von Mitarbeiterbeteiligungen an Startups
Mario Rose: Eine letzte Frage zum Thema Politik, ehe wir uns noch anderen Bereichen zuwenden. Christoph, es gibt aktuelle politische Entscheidungen, zum Beispiel die zur Organisation von Mitarbeiterbeteiligungen an Startups, ganz neu von Olaf Scholz durchgeführt. Du hast es gerade angesprochen. Sinnvolle Instrumente der KfW. Olaf Scholz hat jetzt gesagt, wir erhöhen die Freibeträge von 360 Euro auf 1.440 Euro. Als Antwort darauf, dass es Startups besser und einfacher möglich gemacht wird, Mitarbeiter, tolle Talente und High-Potentials an das Unternehmen zu binden.
Wo nicht von Anfang an hohe Gehälter fließen können, sondern moderne Organisationsstrukturen der Mitarbeiterbeteiligung, wie WizOps zum Beispiel, von Interesse sind. Christian Miele hält das für Mumpitz. Fällt es dir schwer und hast du dann schlechte Laune, wenn du das liest? Und denkst du dir, wo kommt denn so eine Entscheidung her? Wie hättest du es geregelt?
Christoph Bornschein: Am Ende muss man sagen. Christian hat tatsächlich komplett recht. Er hat es relativ hart kommentiert und ich finde, das muss man relativ hart kommentieren. Das Problem ist, wir gehen schon zurück. wenn ich ein Unternehmen gründe und die Mitarbeiter beteilige, statt ein festes Gehalt zu geben, um Kosten zu agieren, dann sind diese irgendwann steuerpflichtig, wenn ich sie in echte Anteile einlösen will.
“Wir haben nicht verstanden, dass auch Facebook vor 15 Jahren ein Startup war. Und daran sind wir erkrankt.”
Die Wertzuschreibung wird dann nämlich irgendwann steuerpflichtig. Und der Freibetrag liegt bei 3.600 Euro. Vorher lag er bei 714 Euro. Am Ende hatte jemand monatlich auf ähnliche Beträge an Gehalt verzichtet. Das hat mit der kohärenten Idee, wie man Unternehmertum und Startups fördert, nicht viel zu tun. Insofern kann ich nur darauf verweisen: Alles, was Christian der Presse öffentlich gesagt hat, ist auch meine Meinung. Wir sind immer noch nicht dort angekommen um tatsächlich zu verstehen, dass Startups der Mittelstand der Zukunft sind.
Wir haben nicht verstanden, dass auch Facebook vor 15 Jahren ein Startup war. Und daran sind wir erkrankt. Es gibt nicht wahnsinnig viele junge und große Unternehmen in Deutschland, die schnell gewachsen sind und das liegt unter anderem daran.
Der Handel ist nicht tot – Grundsatzproblem: Industriestrategie
Mario Rose: Okay, vielen Dank für deine sehr klare Perspektive. Offensichtlicher Verlierer, ist der Einzelhandel in Deutschland und auch weltweit gesehen. Ich glaube, da sind wir uns einig. Auch, wenn es sehr allgemein gesagt ist. Wie siehst du in diesem Zusammenhang den Denkmalschutz, wie du es selbst genannt hast?
Ich bin mir gegenüber Unternehmen, die einfach überholte Geschäftsmodelle mit sich bringen, nicht ganz sicher. Ist das eine Rückwärtsgewandtheit, so wie du es auch gerade beschrieben hast? Also beispielsweise, wenn wir Karstadt und Hertie das nächste Mal aus der Patsche helfen? Oder nicht direkt miteinander zu vergleichen, und – ganz vorsichtig ausgedrückt – die Taxibranche entsprechend weiter projektieren. Wie siehst du solche Entwicklungen?
Christoph Bornschein: Der Handel ist gar nicht tot und das muss man sich anschauen: 250 Millionen sind vorhin in Gorillas geflossen, womit Gorillas nach 9 Monaten ein Unicorn ist. Tencent war einer der Investoren. Das Wetten auf den deutschen Retail kann auch mit ausländischem Kapital passieren. Der Handeln ist also nicht tot, sondern quicklebendig. Nur nicht der, der Traditionalisten. Ich glaube, wir haben in Deutschland ein Grundsatzproblem und das würde ich Industriestrategien nennen.
Was wir selten tun, ist uns folgende Frage zu beantworten: Welche Art von nationalen Champions wollen wir haben? Und wie muss man die Rahmenbedingungen setzen, damit man eine Chance kreiert, dass es diese nationalen Champions gibt? Wir investieren dann gerne mal in das, das schon lange da ist und nicht in das, das wir haben wollen. Du kannst regulatorisch viel machen, das deine Zukunftswirtschaft ist. Nimm etwas wie die Energiewende. Wir waren in der Energiewende und dem Ausstieg aus der Atomkraft unglaublich früh dran und hätten die große Chance gehabt, die modernste Connected-Energies-Industry Europas zu haben. Da wir das aber unfassbar kompliziert gemacht haben – wie Connected-Energy funktioniert, wie Smart-Metering in Deutschland funktioniert – ist es dann nicht passiert. Wir haben diese Rahmenbedingungen nicht genutzt. Ich glaube, dass wir ganz oft im Moment regulieren. Es gibt ein Problem und dann gibt es ein Gesetz für das Problem. Dann gibt es das nächste Problem und dann wieder. Wir ziehen nie eine Linie.
Was ist denn am Ende von allem der erwünschte Zielzustand, den wir gerne sehen wollen? Würden wir das mehr machen, würden wir verstehen, wo es Zukunftsindustrien gibt, in die man viel Geld stecken könnte. Wo man viele Investitionen umlenken kann und wo es diese nicht gibt. Im deutschen Apothekerrecht ist es heute noch so, dass ein Apotheker maximal 5 Apotheken besitzen darf und Ketten in Deutschland nicht erlaubt sind. Dann kann man sich überlegen was passiert, wenn diese Regulierung fällt und plötzlich ein Konsolidierter reinkommt, wie beispielsweise Amazon.
Wieviel Kraft muss ein Apotheker mit 5 Apotheken investieren, um sich gegen so einen Angriff von außen zu stemmen? Es gibt dann inkohärente “Wir wissen gar nicht, was der Endpunkt dessen, was wir gerne haben wollen”-Momente. Davon würde ich mir gerne mehr wünschen. Und dann sind wir wieder bei: “Ab September geht’s dann los.”
“Der Handel ist nicht tot und das muss man sich anschauen: 250 Millionen sind vorhin in Gorillas geflossen, womit Gorillas nach 9 Monaten ein Unicorn ist.”
Mario Rose: Das ganze Endszenario, das du beschreibst, gilt auch für den Einzelhandel und auch das Bild unserer Innenstädte. Wir sind uns darüber einig, dass sich das Bild unserer Innenstädte radikal verändern wird. Ich rechne fest damit, dass wir weniger Textil-Einzelhandel sehen werden. Gegebenenfalls noch Boutique Konzepte, die auch vor der Pandemie gut funktioniert haben. Und die auch jetzt in der Pandemie, wenn sie dann öffnen dürfen, sicherlich auch einen Zulauf haben werden. Sowie sicherlich im Anschluss das gewisse haptische Besuchererlebnis und die Customer-Experience sehr dienlich sein werden.
Was glaubst du: Was sehen wir perspektivisch dann in unseren Innenstädten? Neben den Boutique Konzepten, wesentlich mehr als jetzt schon ohnehin, die Gastronomie? Kommen die Ärzte oder die Rechtsanwälte wieder zurück? Oder wie werden unsere Innenstädte perspektivisch in einer Post Covid 19 Welt aussehen, die ja gegebenenfalls gar nicht mehr so weit entfernt ist?
Christoph Bornschein: Es kommt ein bisschen darauf an, ob der Handel endlich anfängt zu verstehen, was die Rolle von Physis in diesem zukünftigen Handelsbild ist. Wir haben das Problem, dass die Innenstädte im Wesentlichen pro Quadratmeter Umsatz optimiert sind. Und ich glaube, ein physischer Store ist eine Art, Dinge zu verkaufen. Es kann an einem digitalen System hängen und wir optimieren nicht mehr nach Quadratmeter Umsatz, sondern nach Customer-Lifetime-Value und den Kunden.
Im Zweifel ist ein Laden auch ausreichend profitabel dadurch, dass er ein Ort ist, wo Kunden hochwertige Sachen anprobieren und anfassen können. Ich bin der Meinung, von diesen Marken werden wir mehr sehen. Ähnlich wie es das im Bau Finanzierungsbereich auch gab. Die Interhypes dieser Welt, die es dann irgendwann verstanden haben.
Wir haben eine Plattform, auf der man Baufinanzierungen vergleichen kann. Wenn wir jedoch einen Laden eröffnen, in dem ein Mensch die Internetseite begleitet, ist dies relativ erfolgreich. Was wir dann sehen werden sind digitale Marken, die aus dem Internet wieder in die Physis wachsen werden. Es kommt aber auch immer auf die Stadt an.
Wahrscheinlich wird Goslar da jetzt nicht im großen Maße von betroffen sein, aber in einigen anderen Städten wirst du eben tatsächlich mehr digitale Marken sehen. Und spannend ist, dass Karstadt durchaus auf dem Weg war, bevor es dann eben hart zuschlug. Diese digitalen Marken können in einem Karstadt Kaufhof dann wieder stattfinden. Es waren viele gute Gedanken und auch Delivery-Konzepte dabei. Diese Ideen werden überleben. Überlebt aber die Marke Karstadt Kaufhof?
Haben wir eine Chance, uns mit einem eigenen E-Commerce Shop durchzusetzen?
Mario Rose: Das ist eine schwierige Prognose. Aber das, was du ansprichst, sieht man schon von den großen Marken aus dem Onlinebereich, die in digitale Stores investieren, wo dann das Produkt-Erlebnis im Vordergrund steht. Das Konsumverhalten hat sich mächtig verändert. E-Commerce, Pure-Player oder auch E-Commerce-Player mit stationärem Handel im Anschluss haben massiv an Marktanteilen gewonnen. Das geht in einigen Segmenten über alle Branchen hinweg. Die Entwicklung kam sehr rapide.
Schauen wir auf den Bedarf rund um das eigene Haus, beispielsweise Gartenbedarf und ähnliches. Es ist ganz spannend, was da passiert. Man kann nicht voraussagen, ob es Krisengewinner gibt. Würdest du sagen, Konsumverhalten, das sich hier in sehr schneller Zeit verändert hat, ist nachhaltig? Oder glaubst du, dass ein Teil der Leute, die jetzt mit E-Commerce unterwegs sind und sich an die hybriden Kaufmöglichkeiten gewöhnt haben, doch wieder zu einem alten Konsumverhalten wechseln werden?
Christoph Bornschein: Du wirst auch Rebound-Effekte und Leute sehen, die dann wieder darauf verzichten. Ich glaube aber, das ist ein bisschen wie Demographien derer, die jetzt angefangen haben Video-Konferenzen zu nutzen. Es hat gezwungenermaßen Ängste abgebaut. Es gab den Moment, in dem du online bestellen musstest, weil du anders nicht an ein Produkt gekommen bist. Bei Kreditkarten ist es ähnlich, die sind in Deutschland auch tierisch nach oben gegangen. Ich bin der Meinung, dass ganz viele, die damit konfrontiert waren und das tun mussten, um zum entsprechenden Gut zu kommen, einfach festgestellt haben, wie angenehm und wie sinnvoll es ist. Und diese werden nicht wieder zum normalen “Vor-Krisen-Verhalten” zurückgehen.
Es wird Rebound-Effekte des Ganzen geben. Die gibt es immer. Aber wir werden weiterhin auch auf einem sehr hohen Niveau, auch auf einem Vor-Krisenniveau, E-Commerce sehen. Die Deutschen sind keine Kreditkarten Nation. Das war immer das, was man glaubte. Aber wenn man sich Zahlen anschaut, wie die Kreditkarte zugenommen hat, stimmt das heute so nicht mehr. Auch die Zuwachsraten von Master Card in Deutschland sehen super aus. Und da sind wir wieder bei dieser einen Dekade in einem Jahr. Unser Verhalten hat sich verändert. Wir sind gezwungen worden, uns zu digitalisieren. Und wir haben festgestellt, dass es gar nicht so schlimm ist, wie wir immer dachten.
Mario Rose: Das ist natürlich der Heilige Gral. Es gibt genügend defizitäre E-Commerce-Projekte. Sehr stark steigende Customer-Acquisition-Costs, die Technologie, die dahinter steht. Denkst du, dass wir in wenigen Jahren eine komplett Marktplatz dominierte E-Commerce Landschaft sehen werden? Und zwar noch dominierter, als jetzt ohnehin schon? Amazon als Platzhirsch, aber wir haben durchaus auch sehr ernst zu nehmende und stark wachsende Marktplätze wie Otto, Zalando, Douglas oder Initiativen aus der Schwarz Gruppe in Richtung Lidl und Kaufland. Wie siehst du dort die Marktplatz Entwicklung? Und hast du eigentlich noch die Chance, dich mit einem eigenen E-Commerce Shop durchzusetzen?
Christoph Bornschein: Ich denke, E-Commerce Shops sind immer dann sinnvoll, wenn du sie günstig produzieren kannst. Du musst immer darunter sehen, dass der Mega Marktplatz von allen – Shopify – ermöglicht, dass du gefühlt direkt in Shops baden kannst. Diese können auch ein aggregierter Marktplatz sein. Für die meisten Dinge werden sich Marktplätze durchsetzen. Dann kommen wir ein bisschen in diese ganze First-Party Diskussion.
Es ist einfach billiger, Kunden dafür zu gewinnen und sie dann zu halten, wenn du ein Marktplatz Modell fährst. Deshalb gibt es eine klare monetär getriebene Perspektive. Sie heißt: Fashion ist ein Marktplatz Thema. Sind das Beauty und Parfum auch? Ich kaufe zu wenig davon. Ich kann es dir nicht sagen. Du wirst dann immer das Sheltie-E-Commerce sehen. Dieses eine besondere Segment, wie beispielsweise Gewürze oder Koffer. Also hochwertige Produkte mit einer gewissen Wiederkaufrate und da wird es auch weiterhin Stand Alone Marktplätze geben. Wie zum Beispiel der Holz Schreinerei Shop aus dem Erzgebirge.
Das Problem mit dem Datenschutz. Datennutzung und First Party Data
Mario Rose: Ja absolut, das glaube ich auch. Du hast gerade das Thema Daten angesprochen. Das ist gerade in der Marktplatz Hoheit einer der großen Vorteile. Wir kommen auch noch auf das Thema First Party Data zu sprechen. Fangen wir aber beim Datenschutz an. Du hast noch einen Teil des Pendels vorher mitbekommen. Wir hatten gerade einen Digital-Analytics Round-Table. DHL war zum Beispiel mit dabei oder die Freunde von Douglas, mit Jonas Rashedi und natürlich auch die Agentur Seite. Datenschutz schwankt ein wenig zwischen bürokratischer Hürde und einem Auferlegen von Verpflichtungen.
Sowohl auf der Unternehmensebene, aber auch bis in den privaten Bereich oder insbesondere in die Vereine und den Schulbedarf. Ist das aus deiner Sicht Datenschutz Made in Germany DSGVO Privacy Datenschutz Made in Europe? Sagst du, das ist ein Qualitätsmerkmal? Ist das wie ein Exportschlager, wie ihn auch der ein oder andere gerne mal zitiert? Oder siehst du es als echte Hürde und Problem für modernes Marketing? Wenn wir es unter diesem Stichwort und auch Innovationsmöglichkeiten im E-Commerce oder im digitalen Marketing zusammenfassen dürfen.
Christoph Bornschein: Das ist wirklich kein Werbeblog und wir haben es nicht vorher abgesprochen. Aber, wer meine Kolumne im Handelsblatt lesen möchte, die gerade online gegangen ist, da geht es um Datenschutz und Datennutzungsabwägung. Weil mich die Frage wahnsinnig umtreibt. Also gerne auf Handelsblatt einmal nachschauen. Und deine Frage ist super ultra facettenreich, sowie dieses Thema auch.
GDPR oder DSGVO ist sicherlich ein Exportschlager, betreffend das Thema Werte, das in der Datenschutz und Datennutzung steckt. Du siehst die brasilianische Datenschutz Rechtsentwicklung, der New-York-Privacy-Act, der Kalifornien-Privacy-Act, das sind alles Gesetze, die im Kern die Idee des GDPR fortsetzen und dort lokale Gesetze umsetzen. Also insofern muss man sagen, auf einer Werte Ebene haben wir es geschafft das zu exportieren. Und jetzt kommt die andere Seite. Wenn aus GDPR DSGVO wird und 17 Datenschützer dazu kommen, gibt es eine deutsche Welt in GDPR und die ist dann nicht mehr so schön und einfach.
In Deutschland haben wir eine ganz komische Diskussion über Datenschutz. Es gibt vom 14. September 2020 eine Entscheidung. Neun zu Acht aller Datenschützer in Deutschland denken, dass Microsoft Office 365 hier leider nicht legal ist. Wir schieben immer eine digitale Souveränitätsdiskussion darüber. Wir haben in Deutschland eigentlich keinen beendeten, konsensualen Diskurs darüber, was wir eigentlich als Datenschutz und mit Datennutzung wollen. Wir wohnen im europäischen Raum, wo man eine gute Idee dazu hat, was man mit den Daten darf und das gut rechtlich übersetzt hat. Wir wohnen aber leider in dem Gallien Europas, indem man die eigentlich guten Regelungen in der Auslegung unfassbar kompliziert macht.
Mario Rose: Heute Nachmittag in einem anderen Panel hat Andreas Arntzen, der Geschäftsführer vom Wort und Bild Verlag, also die Apotheken Umschau beispielsweise, gesagt, der Datenschutz sei einer der Hauptgründe. Wenn wir den Datenschutz anders regeln würden, dann könnten wir wesentlich mehr Menschenleben retten. Weil wir dadurch einen ganzheitlicheren Blick auf Patienten zur Verfügung hätten und wesentlich besser in der Prävention agieren können. Ich finde, das war sehr schön auf den Punkt gebracht.
Christoph Bornschein: Oder eine vernünftige Corona App hätten?
Mario Rose: Zum Beispiel, wo wir jetzt mit Corona App und Luca auf unserem Smartphone unterwegs sind. Jetzt fangen die großen Konzerne an, insbesondere Apple mit dem iOS 14 Update, aber auch Google mit der für viele vielleicht überraschenden Ankündigung, auf das Cookie basierte Tracking Modell keine echte Nachfolgelösung folgen zu lassen und sich dann ganz klar eine Abkehr von Cookie basiertem Tracking zunutze zu machen. Jetzt fangen die sehr dominanten Player an auch diesen Bereich für sich zu beanspruchen und eine Ownership zu instruieren.
Christoph Bornschein: Die Produkte kommen jetzt wieder aus den USA zurück. Wir haben es nicht geschafft und das finde ich ein bisschen traurig am GDPR Thema. Wir hatten den Export Erfolg, die Regulierung erfunden zu haben. Die anderen sind schneller darauf, auch Produkte folgen zu lassen, die dann wettbewerbsfähig sind.
Mario Rose: Wie denkst du, wird sich Facebook in dem Zusammenhang positionieren? Viele warten auf Reaktionen oder auf Kurseinbrüche oder ähnliches. Was denkst du, wie sich Facebook positionieren wird?
Christoph Bornschein: Ich finde es ganz schwer zu sagen. Spannend ist vor allen Dingen die Konfrontation rund um Apple und der Zugriff auf die App Informationen. Mein Eindruck ist, dass Facebook als letztes Unternehmen mit dem Kopf durch die Wand geht. Wir sind die einzige Region auf der Welt, wo kein Data-Sharing zwischen WhatsApp, Facebook und Instagram stattfindet.
Diese Idee, das durchsetzen zu wollen, zeigt jetzt nicht unbedingt, dass Facebook ein Hort großer Datensparsamkeit ist und einen ähnlichen Weg geht wie den von Google und Apple. Es wird im Moment viel von Privacy und wir bewahren deine Rechte geredet. Im Hintergrund von WhatsApp, Instagram und Facebook, die Daten zusammenzuführen, sagt eher das Gegenteil. Gut, dass wir in der EU wohnen, wo das einfach nicht passiert. Ich finde es schwer eine kohärente Strategie zu erkennen, die dieses vor sich hergetragene Privacy tatsächlich in echtes Handeln übersetzt.
Mario Rose: Wenn du dir den Google Schritt anschaust, ist das eine Perspektive? Wir wissen, dass das im Jahreswechsel dann große Veränderungen geben wird. Google ersetzt das Cookie basierte Tracking durch sogenannte Kohortenanalysen. Vermutlich gibt es keinen signifikanten Performance-Verlust für die Werbetreibenden. Das ist zumindest unsere Vermutung.
Auf der Agency-Ebene aufgrund der Rewe-News Streams von Google und der sehr starken Abhängigkeit in Richtung Search-Geschäft. Zumindest wenn man sich die großen In-Comes anschaut, ist das ein echter Game-Changer und erhöht insbesondere den Druck eigentlich für andere Beteiligte des Marktes. Das sich Google anders reguliert?
Christoph Bornschein: Ich glaube, es ist gar nicht so ein echter Game Changer. Es wird uns allen ein bisschen so verkauft, als würde Google den Markt machen. Ich denke, Google wird da eher gemacht und nimmt etwas vorweg. Als die deutsche Stromindustrie aus der Atomenergie ausstieg, gab es immer viele Diskussionen um den Verlust der Leistungs-Operator.
Die gesellschaftliche Akzeptanz eines Geschäftsmodells steht dann irgendwann Infrage. Google macht tatsächlich einfach nur genau das, bevor wir endgültig finden, dass es keine Akzeptanz mehr haben sollte, wie Google vorgeht. Deshalb nehmen sie den Schritt vorweg und machen es dann selbst, weil es irgendwann sowieso an den Punkt gekommen wäre. Ich finde, Apple verhält sich unglaublich schlau und auch kommunikativ. Dieses ganze Thema Privacy ist ja eines der großen Themen, die Apple – und Tim Cook auch immer – vor sich her trägt. Es ist fies, das so zu formulieren. Ich mache das nur der Deutlichkeit halber. Ich glaube, Google begeht da ein bisschen Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Also nicht aus Überzeugung, sondern weil es irgendwann eh passiert
Mario Rose: Die Überzeugung fällt ihnen aber auch wesentlich schwerer, weil sie in der direkten Abhängigkeit von dem Werbegeschäft stehen, was bei Apple nur im ganz geringen Maße der Fall ist.
Christoph Bornschein: Und am Ende kommst du dann wieder dahin, einfach eine Sache zu sehen und die ist ja schon immer wahr. Du kommst wieder zurück zu First Party Data und vernünftiges CRM wird wieder wichtiger. Ich finde an der Diskussion aber total schräg: Es war ja nie nicht wichtig Daten und Konsens meiner Kunden mit sinnvollen und auch digitalen Angeboten auszuweiten und ähnliches.
Das ist etwas, das nicht erst seit letzter Woche eine gute Idee ist. Sondern seit mehreren Jahren. Jetzt sind alle ein bisschen überrascht, als wäre es gestern vom Himmel gefallen, dass Bestandskundenbearbeitung, Management und ähnliche Themen wichtig wären. Das ist es aber schon ganz lange. Das ist nur jetzt total evident, weil es dieses “Wir streuen nach außen” nicht mehr gibt.
Mario Rose: Das ist richtig. Was auch im Zusammenhang festzustellen ist, dass Unternehmen große kompetitive Vorteile jetzt schon haben. Ein Otto Douglas hat von über 45 Millionen Beauty Card Inhabern berichtet, wo First Party Data auch sehr stark für das E-Commerce Geschäft genutzt werden kann. Demgegenüber steht ein Großteil von Unternehmen, die sehr davon abhängig sind, im Advertising über Third Party Data einzukaufen. Diese sind auch stark abhängig von Zielgruppen Informationen, die Google, Facebook und auch andere Datenanbieter liefern. Wir fahren über die DMP ihrer Wahl. Ist das in irgendeiner Form noch aufzuholen? Die Leute, die keine First Party Data in ihrem eigenen Unternehmensansatz haben. Oder ist es schon zu spät?
Zwischen Kreativität in der Umsetzung und der richtigen Daten-Architektur
Christoph Bornschein: Als ich mir die Fragen angeschaut habe, über die wir uns unterhalten werden, habe ich daraus eine interne Umfrage gemacht. Und wir haben eine hundert zu null Prozent Antwort bekommen – von allen Kollegen. Und die heißt: Es ist absolut nicht mehr aufzuholen. Am Ende wirst du dahin kommen, wirklich über Engagement und Aktivierung nachdenken zu müssen. Wer mich da immer total beeindruckt, sind Unternehmen wie Breuninger. Breuninger hat eine Kundenkarte und mit dieser kannst du online zahlen.
Man denkt jetzt nicht unbedingt bei Breuninger darüber nach, das das ein gutes digitales Unternehmen ist. Aber das ist es tatsächlich. Weil Breuninger verstanden hat, dass dieses ganze Thema Bestandskundenbindung, Bestandskundenübertragung aus dem Offline-Kanal in den Online-Kanal, total Sinn ergibt. Ich habe diese Karte einmal bekommen. Wir hatten einen Geschäftstermin und ich war erstaunt, wie gut das funktioniert. Du kommst wieder zurück zu diesem Tante Emma Ding. Du verkaufst Leuten, die du gut kennst und zu denen du nett bist, einfach mehr Zeug als jedem, der reinläuft.
Mario Rose: Wenn du bei der Daten Strategie zu den Unternehmen gehörst, die sich gegebenenfalls jetzt erst mit dem Setup auseinandersetzen, gegebenenfalls Daten strukturiert erfassen und diese auch wieder nutzbar machen, habe ich eine Chance, das bis zu einem gewissen Grad über exzellente Kreation auszugleichen?
Viele Unternehmen sagen Daten-Orientierung oder Tool-Einsatz sind ein wichtiges Thema, aber meine Kreation ist exzellent. Ihr seid auch eine Agentur, die sich auf Kreation und Konzeption von Kommunikationskonzepten versteht. Kannst du sagen, wenn ich Exzellenz und Kreation mitbringe, ist das eigene First Party Data-Targeting gegebenenfalls ausgleichbar? Oder ist es etwas, das unmittelbar miteinander zusammenhängt?
Christoph Bornschein: Ich denke, ausgleichbar wird es nicht sein. Denn ausgleichbar würde immer heißen, ich mache das eine oder das andere. Ich bin einfach super in Daten oder es ist schön bei mir. Und ich würde Kreation auch nicht nur auf den kommunikativen Akt erstrecken, sondern wirklich auf die gesamte Experience. Wie Shopping dann funktioniert, ist am Ende Kommunikation.
Du musst einfach anerkennen, das ist nicht erst seit gestern so. Das ist in den USA übrigens viel organisierter. Da gab es nie die Diskussion um den Chief Digital Officer. Die hatten immer eine CXO-Diskussion – über den Chief Experience Officer.
Und ich glaube, diese Disziplinen, die irgendwo zwischen Kreativität in der Umsetzung und der richtigen Architektur in Daten und dem richtigen datengetriebenen Vorgehen liegen, die sollte man jetzt endlich anfangen in Deutschland aufzubauen. Das ist eben nicht das eine oder das andere. Sondern erfolgreich bist du gerade, wenn die Umfelder schwieriger werden, weil du beides gut machst.
Mario Rose: Fallen dir denn weitere Unternehmen aus deinem eigenen Beratungsbereich ein, wie Breuninger?
Christoph Bornschein: Breuninger sage ich nur, weil ich die gar nicht auf dem Schirm hatte und ich wirklich erstaunt war, wie jemand in der Kategorie Kaufhaus einfach eine gute Umsetzung davon hat.
Mario Rose: Schauen wir noch einmal auf einen Faktor, der sicherlich auch von Covid 19 bestimmt wird. Ich habe gelesen, dass sich immer mehr Unternehmen auch Gedanken dazu machen, auf Basis der sich wesentlich schnelllebiger verändernden Rahmenbedingungen gar nicht mehr in konkreten Jahresplanungen zu agieren.
Jahresbudgets nicht mehr so streng von Geschäftsjahr zu Geschäftsjahr festzuzurren, sondern auf Beyond-Budgeting entsprechend zu agieren und sich ein hohes Maß an Agilität zu verschreiben. Du hast einen Einblick in viele große Unternehmen in Deutschland. Ist das etwas, das du auch siehst und das schon immer mehr geliebt wird? Oder haben wir noch Angst davor, nicht so konkret zu planen?
Christoph Bornschein: Ich finde es wirklich verrückt, dass wir das jetzt diskutieren. Ich glaube, wir haben über solche Konzepte schon vor 5 Jahren diskutiert. Das finde ich lustig. Du versuchst immer mehr von den Marketing-Budgets in Vertriebs-Budgets zu verwandeln. Also eine direkte Beziehung zwischen Abverkauf und Budgetierung herzustellen. Dann kannst du relativ frei in dem skalieren, was du so reinhaust, wenn du siehst, dass der Sell eskaliert. Wir haben das mit der Lufthansa CFO, oder damals Simone Menne – und das ist circa Sieben Jahre her – genauso diskutiert.
Du musst in der Budgetplanung Opportunity-Spaces haben. Du wirst in einer sich dramatisch beschleunigenden Zeit immer wieder Opportunitäten sehen. Es wird nie wieder so langsam wie jetzt. Gerade ist es etwas blöd, wenn du dich nur einmal im Jahr bewegen kannst. Und das gilt nicht nur für den E-Commerce, sondern auch für Innovationen und für Beteiligungen an Sachen. Also, meine Antwort auf deine Frage ist: Ja, das finde ich eine gute Idee.
Zukunftsausblick für TLGG – The New Lead Agency
Mario Rose: Ja, das machen nur immer noch viel zu wenig Unternehmen. Zumindest ist das meine persönliche Erfahrung. Christoph, schließen wir den Kreis wieder bei Torben, Lucie und die gelbe Gefahr. Wir sind schon in der Endphase unseres Talks und ich weiß auch, du hast einen Anschlusstermin. Wie verändert sich dein Geschäftsmodell seitens der Agenturseite? Und was tust du dafür, damit dein Agenturmodell auch in fünf oder sogar mehr als fünf Jahren weiterhin relevant ist?
Christoph Bornschein: Wir haben dafür tatsächlich ein Wort. Wir gucken tatsächlich immer wieder in die nächsten drei Jahre. Und bei uns steht darüber “The New Lead Agency”. Ich bin der Meinung, dass das für uns als Agentur die Zukunft ist. Dass wir endgültig die Auflösung dieser analog digital Unterscheidung haben. Und, dass du endlich dahin kommst, dass digital zuerst gedachte Kommunikation dann auch auf Plakaten stattfinden kann.
Diese ganze Hypothese von, “Es gibt die klassische Kreativagentur als Lead Agentur, die hat einen Fernsehspot gemacht und dann wird er irgendwie verlängert”, ich denke, das wird aufhören. Du wirst tatsächlich dahin kommen, dass du einen Digital First Produktionsprozess auf der Markenkommunikation hast. Also in dem Medium zuerst denkst und dann kommt noch einmal der YouTube-Spot im Fernsehen. Oder du druckst halt die Performance-Werbemittel aus. Das ist ein bisschen der Weg, den wir gehen. Es gibt immer mehr Kunden, die tatsächlich genau das tun. Nämlich zuerst den digitalen Kanal denken und bearbeiten und dann irgendwann in die Physis gehen.
Mario Rose: Was ist dein persönliches Ziel mit TLGG? Das hast du schon gesagt. Du möchtest gerne nach Asien gehen, wenn es die Möglichkeit gibt. Was hast du für ein persönliches Ziel mit der Agentur oder vielleicht auch unabhängig von TLGG?
Christoph Bornschein: Ich denke, ich bin am Ende Geschäftsführer der Gruppe und muss auch immer für eine Unternehmensberatung mitdenken. Für uns geht es wirklich darum, zu sagen, wie können wir die Konzerne und Unternehmen, mit denen wir arbeiten, holistisch in eine Zukunft führen, in der Technologie Wettbewerbsvorteile bringt? Es gibt kommunikative Spiele und eine strategische Spielart. Hier tatsächlich eine global agierende Boutique zu sein, ist eine Ambition, die in pandemischen Zeiten schwer umzusetzen ist.
Mario Rose: Das glaub ich dir gerne. dann wünsche ich dir und der gesamten Agentur natürlich ganz fest, dass ihr euch in diese Entwicklungsrichtung baldmöglichst entwickelt. Und ich danke dir ganz herzlich Christoph, dass du heute hier ins Studio gekommen bist.
Es hat mir richtig viel Spaß gemacht mit dir über Gott und die Welt zu plauschen.
Schön, dass du unser Gast gewesen bist. Ich freue mich, wenn du dir das ein oder andere, am morgigen Tag bei uns auch anschaust, wenn du die Zeit findest. Ansonsten wünsche ich dir eine gute Heimreise nach Kreuzberg und bleibe gesund.
Christoph Bornschein: Vielen Dank, es war sehr schön.
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