Andre Alpar ist ein Urgestein des Online-Marketing. Als er sich 1998 zum ersten Mal damit auseinandersetzte, steckte das Internet fast noch in den Kinderschuhen. Aber, dank seiner Neugierde und der Bereitschaft, sich selbstständig immer neues Branchenwissen anzueignen, kann er dieses Wissen heute als Unternehmer, Investor und Keynote-Speaker an die nächste Marketing-Generation weitergeben. Seine Schwerpunkte liegen im Content- und Performance-Marketing und im multilingualen SEO. Unter anderem hat Andre Alpar Performics, die Hitflip Media Trading GmbH und einen Hörbuchverlag gegründet und war drei Jahre lang Online-Marketing-Berater bei der Rocket Internet GmbH.
Auf der OMKB in Berlin im April 2022 unterhielt sich Andre im Fireside Chat mit OMKB-Host Schahab Hosseiny über seine Investment-Strategien, die Rolle automatisiert generierter Texte im Content-Marketing, die zukünftige Gestaltung von Assistenzsystemen und das Rennen der Tech-Giganten um die Vorherrschaft in ebendiesem Bereich.
Podcast mit Online-Marketing-Allrounder Andre Alpar
Investments fernab der eigenen Interessen
Mario Rose: Andre Alpar, herzlich willkommen bei der OMKB in Berlin. Guten Morgen. Schön, dass du da bist. Andre ist Investor, gefragter Keynote-Speaker, Unternehmer, Agenturgründer und seit 1998 im Online-Marketing aktiv. Unter anderem war er viele Jahre lang in leitender Funktion als Online-Marketing-Berater bei der Rocket Internet aktiv. Hallo, Andre.
Andre Alpar: Moin.
Mario Rose: Du bist ein sehr bühnenerfahrener Mensch. Ich habe dich das eine oder andere Mal gesehen, aber ich glaube, bei dir war die Pause etwas länger. Bist du ein bisschen eingerostet oder hast du richtig Lust heute?
Andre Alpar: Ob ich eingerostet war oder bin, wird sich gleich zeigen. Ich freue mich auf jeden Fall, weil ich mit den Online-Konferenzen nicht warm geworden bin. Man gibt relativ viel Energie her, wenn man auf der Bühne ist, aber bei einem Live-Event bekommt man auch viel zurück. Und das kommt beim Online-Event nicht mehr so rüber. Insofern hoffe ich, hier wieder Spaß zu haben.
Mario Rose: Sehr schön. Ich habe eben schon erwähnt, dass du seit 1998 im Online-Marketing aktiv bist. Google Ads gab es damals noch nicht, Newsletter-Marketing vermutlich auch nicht. Was war 1998 im Online-Marketing los?
Andre Alpar: Tatsächlich gab es nicht viel. Es gab die Suchmaschinen vor Google – wie Yahoo, AlterVista und Lycos. Die haben im Wesentlichen mit On-Page-Themen zu tun gehabt. Da hat man versucht, die eigenen Inhalte besser darzustellen als die der Konkurrenz. E-Mails gab es schon und es gab natürlich noch Banner-Werbung zu hohen TKPs (Tausend-Kontakt-Preisen). Das waren keine optimalen Bedingungen, aber wenn man sich damals zurechtgefunden hat, hat man verstanden, dass es dafür kein Lernmaterial gibt. Das musste man also alles ausprobieren und wenn man diese Philosophie weitergeführt hat, hat man auch heute noch gute Chancen im Online-Marketing.
„Es gibt immer etwas Neues und man kann neue Methoden erlernen, auch wenn es keine strukturierten Lehrmittel dafür gibt.“
Und wenn man sich die Neugier und den Mut, Neues auszuprobieren, erhalten hat, kann man noch heute Spaß daran haben.
Mario Rose: Das ist spannend. Du bist Speaker, aber auch Investor und bekannter Online-Marketing-Unternehmer. Ich habe das Gefühl, dass es inzwischen dennoch etwas ruhiger um dich geworden ist, Andre – gar nicht im negativen Sinne. In welchen Projekten bist du zurzeit involviert?
Andre Alpar: Tatsächlich habe ich versucht, mein Geschäftsleben weniger nach außen zu tragen und mich zunehmend hinter die Kulissen zu begeben. Aktuell bin ich an einem Tierfutter-Startup beteiligt, das hauptsächlich Hundefutter herstellt. Hunde mag ich eigentlich gar nicht, dafür aber das Pärchen, das hinter dieser Firma steht. Ich würde die beiden als Geschäftsfreund:innen bezeichnen und ich schätze sie als Unternehmer:innen. In diesem Fall wette ich eher auf die Personen als auf das Geschäftsmodell, weil ich überzeugt bin, dass die richtigen Personen schon das richtige Geschäftsmodell finden werden.
Weiterhin betreibe ich mit einem anderen Freund zusammen einen Online-Zigarrenshop, obwohl ich noch nie eine Zigarre geraucht habe. Bei mir müssen sich das Geschäftliche und die eigene Leidenschaft also nicht überlappen. Ich tendiere tatsächlich dazu, die Dinge zu überschätzen, die ich selber gut finde.
„Deshalb bleibe ich bei geschäftlichen Themen und im Rahmen von Investments lieber fern von den Dingen, die mich persönlich interessieren, um sie nüchterner erfassen, bemessen und einschätzen zu können.“
Mario Rose: Das scheint mir ein sehr smartes Vorgehen zu sein, lieber Andre. Ich nehme dich jetzt mit in unseren ersten Fireside Chat und mein Kollege Schahab Hosseiny wird sich mit dir auf eine bunte Reise des digitalen Marketings begeben. Schahab, komm gerne zu uns.
Schahab Hosseiny: Servus.
Andre Alpar: Moin.
Mario Rose: Dann viel Spaß beim Fireside Chat.
Schahab Hosseiny: Danke, Mario. Andre, wir möchten uns heute mit vier Themenkomplexen beschäftigen. Das ist auf der einen Seite Content-Marketing, damit einhergehend SEO, wir werden uns auch mit Voice beschäftigen und vielleicht kontrovers darüber diskutieren und später über channel-übergreifendes Marketing sprechen. Bist Du bereit?
Andre Alpar: Absolut.
Video mit Andre Alpar über Tech-Trends und Zukunftschancen
Die Stärken und Grenzen des Content-Marketings
Schahab Hosseiny: Dann lass uns beim Thema Content-Marketing einsteigen. In dem Bereich hast du durchaus einige Erfahrungswerte; in der Vergangenheit hast du eine der führenden Agenturen in dem Zusammenhang geleitet. Wenn wir uns OpenAI-Technologien wie GPT-3 oder Deep Learning anschauen, wie gehst du in diesem Zusammenhang mit automatisierten Texten um? Wir sehen nämlich immer mehr automatisierte Texte – viele Leute im E-Commerce machen es sich auch sehr einfach und skalieren damit auch international. Wie ordnest du dieses Thema ein?
Andre Alpar: Ich starte in die Antwort, wie ich das bei meinem Podcast auch mache: Ich schaue mir erst einmal den Rahmen an, in dem wir diese Frage beantworten können. Beim Thema Content-Marketing geht es darum, dass man nicht nur den Leuten entgegenrennt und ihnen ‚kauf mich, kauf mich, kauf mich‘ entgegenschreit. Stattdessen möchte man im Content-Marketing Geschichten erzählen. Die Performance-Marketer sind immer sehr auf den Umsatz fixiert und sie denken sehr rational. Deswegen versuchen sie, alles möglichst gut und günstig, funktional und überperformend hinzubekommen. Geschichten erzählen und alles auf Performance trimmen, steht allerdings im Widerspruch zueinander.
Suchmaschinenoptimierung ist nun auch keine neue Sache und tatsächlich hat alles mit automatisierten Texten angefangen. Dieses Thema stand und steht also immer wieder im Raum und jetzt gibt es eine neue Technologiegeneration, die Texte anders erstellt – mit KI vielleicht sogar besser. Die Frage ist, an welcher Stelle man Content braucht und an welcher Stelle ein automatisiert erstellter Content etwas leisten kann. Wenn ich mir einen klassischen Case im E-Commerce anschaue, kann man an verschiedenen Stellen Content gebrauchen. Es gibt etwa einen Produktbereich, in dem die einzelnen Produkte beschrieben werden und eine Kategorieseite, auf der übergreifende Themen behandelt werden. Vielleicht gibt es auch einen Nachrichtenbereich oder ein Magazin, in dem ich über allgemeine Neuigkeiten in dem Bereich informiere.
„Es gibt eine Stelle, an der ich mir gut vorstellen könnte, dass das Arbeiten mit automatisierter Content-Erstellung Sinn macht – und das ist auf der Produktebene.“
Das ist insbesondere der Fall, wenn ich über viele Daten rund um die Produkte verfüge und man im Netz schon einiges dazu findet. Wenn man eher exotische Produkte verkaufen möchte, wird das schon wieder etwas schwieriger. Denn die Systeme für automatisierte Content-Erstellung satteln auf den Informationen auf, die schon im Netz vorhanden sind. Es stellt sich also die Frage, wie allgemein oder speziell man unterwegs ist. Meine bisherige Beobachtung dazu ist, dass automatische Content-Erstellung im Produktdatenbereich gut nutzbar ist, dass dort allerdings keine Suchmaschinenoptimierung stattfindet. Die E-Commerce-Leute versuchen selten, auf der Ebene von einzelnen Produkten zu gewinnen, sondern auf der Ebene von aggregierten Ansichten. Dort muss man eine beratende Leistung zur Verfügung stellen. Das wird am besten anhand eines Beispiels aus der Offline-Welt deutlich.
Wenn ich in ein Bekleidungsgeschäft gehe und sage, dass ich eine Jeans kaufen möchte, haben die vielleicht 800 Jeans und ein Verkäufer oder eine Verkäuferin wird mir Fragen stellen, um meine Wünsche und Bedürfnisse zu ermitteln. Bei diesem beratenden Content kann alles eine Vorstufe sein, das mit technischen Hilfsmitteln hergestellt wird. Aber meiner Meinung nach müsste hinterher immer jemand drüberschauen. Und im dritten Bereich – den ich am ehesten mit Content-Marketing in Verbindung bringen würde, wo es um Inspiration, das Erweitern von Horizonten und das Einordnen des Neuen in das Alte geht – kann ich mir die Verwendung von automatisch erstellten Texten eigentlich gar nicht vorstellen. In dem Bereich wird es auch nicht gut funktionieren, weil die Grundlage fehlt. Man möchte schließlich den Raum dessen vergrößern, worüber gesprochen wird und das wird die Technik nicht leisten können, weil sie den Kontext nicht verstehen kann. Die kann nur existierende Texte in einer anderen Form darstellen.
In Bezug auf Sprachen liegt der meiste Content auf Englisch vor. Als Sprache ist Englisch viel einfacher als Deutsch – und es gibt noch deutlich komplizierte Sprachen. Die Sprachen in Osteuropa haben etwa noch mehr Fälle als wir, das können sich die amerikanischen Entwickler:innen der jeweiligen KIs gar nicht vorstellen. Es gibt also ganz klare Grenzen der Nutzbarkeit von KI. Dennoch ist es spannend, sich diese Dinge anzuschauen, denn wenn beratender Content in der Hälfte der Zeit erstellt werden kann, halbiert sich natürlich auch der Preis. Deswegen ist es durchaus sinnvoll, die Anwendungsmöglichkeiten auszuloten. Dabei wird man sicherlich nach thematischen Domänen unterscheiden müssen.
Schahab Hosseiny: Andre, glaubst du, dass sich das Berufsbild des/der klassischen Redakteur:in durch den vermehrten Einsatz von Technologie verändert? Oder – etwas überspitzter gefragt – haben die Redakteur:innen überhaupt noch eine Daseinsberechtigung. Die kosten schließlich Geld und wie du gerade gesagt hast, kann Technologie an vielen Stellen helfen – an vielen aber auch nicht. Würdest du heute noch jemandem den Beruf als Redakteur:in empfehlen? Vielleicht mit dem Hinweis, dass sich das Berufsbild stellenweise ändern muss?
Andre Alpar: Was nicht mehr funktioniert – und zwar in allen Berufen – ist das entspannte Zurücklehnen, stupide Abarbeiten und Handeln ohne Muße. Aber die Technologie wird in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein, die Themen zu identifizieren, die Interaktion hervorrufen und Denkanstöße liefern. Es geht schließlich nicht nur um die Generierung von Content, sondern es geht um die unterschiedliche Aufbereitung und das Verständnis für Themen. Man muss auch erkennen können, wie der Content ankommt, wie mit ihm interagiert wird und wie man an Erfolge anknüpfen kann. Meiner Meinung nach wird es noch lange dauern, bis dieser Zirkelschluss durch Technik gestützt werden kann. Allein das Setzen von Themen ist eine gigantische mentale Leistung, die ich unbedingt bei den Redakteur:innen verankert sehe. Das sind nämlich die Personen, die die Geschichten finden müssen und können. Damit haben sie nicht nur eine erstellende, sondern eine kreative Aufgabe und mit der Zeit wird der kreative Teil des Jobs wahrscheinlich relevanter werden.
Schahab Hosseiny: Lass uns mal einen Blick auf den Tech-Stack-Bereich werfen. Hast Du ein paar pragmatische Hinweise oder sogar Tool-Empfehlungen für Leute, die sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen und mehr darüber lernen möchten?
Andre Alpar: Ich würde mir die größten Themen anschauen, also Textgenerierungswerkzeuge wie GPT-3. Diese würde ich mit den Leuten, die in der Redaktion, der Content-Erstellung oder der Presse arbeiten, diskutieren, ob und inwiefern das ein Input für deren Arbeit sein kann. Dazu gehört, die verschiedenen Arten von Content zu evaluieren, mit denen man zu tun hat, und ob bzw. in welchem Umfang Technologie dabei helfen kann. Ich wäre da aber vorsichtig und würde mich eher im Bereich der Suchmaschinenoptimierung umschauen, speziell bei der Co-Occurrence. Das Akronym in dem Zusammenhang ist WDF*IDF. Wenn es beispielsweise um Zigarren geht, sind nicht nur Abarten dieses Wortes und Kombinationen mit diesem Wort relevant, sondern auch das Wort „Kuba“. Ansonsten handelt es sich wahrscheinlich nicht um den besten Text zum Thema Zigarren. Das sind also zwei vollkommen unterschiedliche Wörter, aber wenn die nicht gemeinsam vorkommen, kann man an der Relevanz des Textes zweifeln – und das ist der einzige Grund, warum eine Suchmaschine einen Text auf Seite eins anzeigt. Das halte ich für nützliche Tools, um Reflexionsflächen zu bieten. Ich sehe die aber eher als Guidance für Leute, die für Content verantwortlich sind. Man muss die Content-Schaffenden fragen, was ihnen hilft und sie in die Lage versetzen, die Performance ihres Contents zu überprüfen. Nur dann können diese Personen ihre Kreativität sinnvoll steuern.
Schahab Hosseiny: Andre, jetzt haben wir sehr viel über Texte gesprochen. Schauen wir uns als Nächstes den Audio- und Videobereich an. Mit Systemen wie Amazon Polly oder AWS können wir Audio automatisiert produzieren. Auch im Bereich YouTube sehen wir verstärkt Automatisierungsprozesse – auch mit einem Suchmaschinenoptimierungsaspekt, um die Universal Searches stärker zu dominieren. Wie stehst Du zu den Themen Video und Audio unter dem Aspekt der Automatisierung?
Andre Alpar: Da bin ich tatsächlich recht hoffnungsvoll.
„Wenn eine kluge content-schaffende Person einmal den Inhalt bestimmt hat, kann dieser mit technischer Hilfe vervielfältigt und an die verschiedenen Outlets ausgespielt werden.“
Die Person, die den Inhalt durchdrungen und die Story gesponnen hat, kann dann den Kern oder die Teile des Contents auswählen, aus denen noch ein kleines Video erstellt werden kann. Heute wird viel Content in einer zerstückelten Form konsumiert und diese Stücke können gut in der Form von Video oder Audio hergestellt werden. Gerade in den sozialen Medien wird auch viel Video ohne Audio, sondern mit Text, konsumiert. Solche Formate technisch zu erstellen, macht für mich total Sinn. Das ist noch nicht ganz glatt, aber es funktioniert schon einigermaßen gut.
Schahab Hosseiny: Deine Hypothese ist also, dass man sich frühzeitig damit beschäftigen sollte, weil davon noch mehr kommen wird?
Andre Alpar: Man kann nicht zu jedem beliebigen Thema noch ein Video aufnehmen. Die Kosten für die komplexeren Medien jenseits von Text und Bild nehmen erheblich zu und durch diese Zerstückelung wird das einzelne Content-Element gar nicht so stark genutzt. Und wenn der Nutzen nicht so hoch ist, muss man sich fragen, was man in die Produktion investieren möchte. Wenn man natürlich zuleide der Qualität in der Produktion spart, kann man auch nicht die erforderliche Reichweite generieren. Das muss man dann testen. Nach meiner Erfahrung sind aber die automatisierte Erstellung von Audio und Video und deren Kombination relativ schlank und zur Generierung von Reichweite gut geeignet. Dementsprechend halte ich es für ein lohnenswertes Unterfangen, die Möglichkeiten in dem Bereich auszuloten. Man wird damit keine TikTok-Raketen abschießen, aber Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn kann man damit schon bespielen.
Voice first, Visual second
Schahab Hosseiny: Und bestimmt auch die search-dominierten Bereiche wie YouTube. Wir wollen heute über vier Themenbereiche sprechen, also lass uns mal einen Themenschwenk hin zu Assistenzsystemen machen. Ich bin ein großer Freund von Apple-Produkten und nutze unter anderem den HomePod. Das ist der Ansatz von Apple, stärker in den Bereich der Home-Assistenzsysteme einzusteigen. Siehst du weiterhin hohen Demand im Bereich Voice-Search? In den letzten Jahren wurde dieses Thema wie die Sau durch jedes Marketing-Dorf getrieben und alle wollten beim Thema Voice-Search mitmachen.
Andre Alpar: Ich mache zunächst noch einen Schritt zurück. Das soll keine Ausrede sein, aber ich finde, vor dem Beantworten einer Frage muss man erst den Rahmen erklären, in dem man sich gedanklich bewegt. Wie erwähnt bin ich alt genug, um mich an eine Zeit zu erinnern, zu der acht Jahre in Folge auf jeder Marketing-Konferenz „Mobile First“ wie die Sau durch das Dorf getrieben wurde. Das fand nicht nur auf der Suchseite, sondern auch auf der Produktseite statt. Es ist also kein unbekanntes Phänomen, dass ein Bereich über Jahre hinweg als der nächste große Hype zelebriert wird und dann doch noch nicht kommt. Das finde ich auch nicht schlimm, denn wenn es den Durchbruch dann doch gibt, ist der meist noch massiver als gedacht.
Als Nächstes stellt sich die Frage, von was für Assistenzsystemen wir überhaupt sprechen und was die können werden. Reden wir von so einer kleinen Alexa- oder Apple-Kiste, mit der man redet? Das erinnert mich an das C-Netz-Telefon, das war ein 2-Kilo-Block, den man in einem Koffer rumtragen und mit dem man telefonieren konnte. Das kann man nicht mit den heutigen Mobiltelefonen vergleichen. Und jetzt sehen wir meiner Ansicht nach wieder die Vorstufe von etwas. Ich glaube aber auch nicht an eine Voice-Only-Welt, dafür reicht die Dichte der Informationen, die mittels Sprache übertragen werden können, nicht aus. Man kann Dinge mit visueller Unterstützung viel leichter erklären. Es macht meiner Meinung nach dennoch Sinn, sich über diese Welt von Interaktion zwischen Mensch und Maschine Gedanken zu machen.
Diese Welt ändert sich alle zehn bis 15 Jahre; die älteren Semester erinnern sich vielleicht noch an den C-Prompt. Das war damals das System, mit dem man mit Computern interagiert hat und das wurde als weiße Schrift auf schwarzem Monitor dargestellt. Man musste die kryptische Sprache des Computers lernen, um mit ihm zu interagieren. Zehn Jahre später hatten wir die ersten windows-ähnliche Systeme, die Analogien aus der bisher bekannten Welt aufgegriffen haben. Da gab es Ordner mit Unterordnern und Dokumenten und eine Maus. Und durch diese grafischen Hilfen konnte man ganz anders mit diesem Medium interagieren. Dann kam die nächste Interaktionswelle mit den Suchmaschinen und die nächste mit den Mobiltelefonen. Und der Markt hat sich meistens in dem gleichen Zyklus wie die Mensch-Maschine-Interaktion entwickelt.
Insofern ist es spannend und auch an der Zeit, nach dem nächsten Ding Ausschau zu halten. Alle sind gerade nervös, irgendetwas muss und wird bald kommen, aber niemand weiß, was das ist.
„Grundsätzlich glaube ich, dass diese Voice-First-Logik – nicht Voice-Only, sondern Voice-First – durchaus richtig ist.“
Wenn man sich die größten iPhones auf dem Markt und die durchschnittliche Daumengröße anschaut, ist das kein perfektes Match. Mit den Fingern darauf rumzutippen, ist einfach keine gute Idee. Das kann doch nicht das Beste sein, was sich die Menschheit für die Kommunikation untereinander ausdenken kann. Deswegen glaube ich, dass sich die Mensch-Maschine-Interaktion noch mehr Kommunikation von Menschen untereinander anpassen muss. Wir werden dennoch weiterhin ein Display brauchen – egal ob das irgendwo rumsteht, ob das auf eine Oberfläche projiziert wird oder ob das Teil einer AR-Brille wird. Aber das erste Kommunikationsmittel wird Sprache sein. Und wenn ich mal nicht sprechen kann – weil man etwa gerade in einem Meeting ist – gibt es irgendwelche Gesten oder notfalls kann man immer noch tippen. Jetzt habe ich einen sehr großen Bogen gemacht und erklärt, warum ich den Themenbereich spannend finde, obwohl es so lange auf sich warten lässt. Wie lautete die Frage noch mal?
Schahab Hosseiny: Ich habe verstanden, dass du schon glaubst, dass es Anwendungsfälle für Voice-Only geben wird, dass wir auf Begleitmedien wie den Screen aber nicht verzichten können. Da steckt trotz des großen Bogens doch sehr viel Wahrheit drin.
Andre Alpar: Ich glaube, die Frage war, welche Systeme gewinnen werden.
Apple, Google oder Amazon – welches System macht das Rennen?
Schahab Hosseiny: Moment, die kommt gleich. Vielleicht kurz eine Frage an die Audience. Wer hier besitzt Apple AirPods oder Kopfhörer der Marke Beats. Das scheinen 80-85 Prozent der Audience zu sein. Dementsprechend würde ich folgende Hypothese für ein kleines Sparring aufstellen: Apple wird das Rennen im Bereich Voice-Assistenzsysteme machen, weil Apple sehr nah dran ist. Viele wissen das nicht, aber jetzt, wo Beats zur Apple-Familie gehört, ist Apple Marktführer im Bereich Wireless Kopfhörer. Ich glaube, Siri und ihre Assistenzsysteme werden das Rennen machen, weil sie sehr nah am Körper getragen werden – die Kopfhörer am Kopf und die Smartwatch am Handgelenk. Amazon hat es noch nicht geschafft, ein operatives System auf mobilen Geräten oder Smartwatches an den Start zu bringen und wird deswegen mittelfristig überholt werden. Nebenbei glaube ich, dass Amazon hinsichtlich der Voice-Assistenzsysteme über die meisten Datenpunkte verfügt, weil sie den Markt mit Schweinepreisen komplett versauen und ohne Ende Alexa-Geräte auf den Markt spuken. Glaubst du das auch?
Andre Alpar: Nö. Ich bin deutlich unsicherer hinsichtlich dessen, was kommen wird. Was du beschreibst, ähnelt der App-Welt auf Mobiltelefonen. Es gibt die großen Gatekeeper – der App Store und Google Play – und dort gibt es gewissermaßen eine Eingangskontrolle. Man kann nur gewinnen, wenn man bei einem dieser Systeme mitspielt. Meiner Meinung nach ist es hinsichtlich des Voice-Bereichs noch gar nicht so klar, wie das Spiel ausgehen wird. Das könnte eine App-Welt werden oder eine Web-Welt, in der alle auf ihrer jeweiligen Webseite machen können, was sie wollen. Die meisten Gegenstände, die heute mit einer Sprachassistenz ausgestattet werden – wie Autos oder Küchenelektronik – bauen eigentlich auf einem eigenen Sprachassistenzsystem auf. Und wenn jedes Gerät seine eigene Sprachassistenz hat, existiert gar keine Grundtechnologie.
„Ob wir viele verschiedene Geräte mit individuellen Sprachassistenzsystemen oder ein technischer Layer, auf dem so etwas wie Apps aufbauen, haben werden, ist meiner Meinung nach noch nicht ausgekämpft.“
Aktuell gibt es drei gute Wettbewerber:innen um die generelle Sprachassistenz. Das Spannende an Apple als Wettbewerber ist sicherlich, dass deren Kundschaft aus der einen Milliarde vermögendster Menschen besteht. Damit haben die natürlich Zugriff auf ein hochprofitables Segment, was nicht zu unterschätzen ist. Die waren außerdem mit Siri relativ früh dabei, die hat sich die ganze App-Welt aber noch gar nicht erschlossen. Aus dem Bereich der Suchmaschinen wissen wir schon, dass die besten Karten diejenigen haben, die die meisten Daten haben. Deswegen müssten Google und Amazon momentan die Nase meilenweit vorne haben. Google lässt die Sprachbedienbarkeit seiner verschiedenen Elemente quasi nativ in das System reingießen. Deswegen versuche ich immer, Anwendungen wie Google Maps per Sprache zu steuern. Das wird mir sehr aufdringlich angedient, insofern sammeln die sicherlich auch reichlich Daten. Bei Google finde ich obendrein diese Interaktionsmöglichkeiten extrem beeindruckend.
Am Ende des Tages wird es wahrscheinlich wie bei den Suchmaschinen sein: Wer die meisten Daten hat, wird die beste Technologie bauen können. Das sind solche Unmengen an Daten, dass man sich denen eigentlich nur mit KIs nähern kann. Und die werden besser, je mehr Daten sie haben. Insofern sehe ich Apple aktuell noch nicht vorne und ich kann bei denen auch nicht den nötigen Biss erkennen. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen daran arbeiten, sehe ich Amazon vorne. Es kann aber auch sein, dass die Google-Sachen noch besser werden, weil die noch mehr Daten haben. Die haben schließlich sechs Milliarden Leute als Kunden, die nicht so reich sind. Zusammengefasst wissen wir noch nicht, wie wichtig diese allgemeinen Assistenten werden oder inwiefern es domänenspezifische Assistenten wie bei Mercedes, VW oder Tesla geben wird. Wir wissen auch nicht, ob und wie die interagieren werden. Man hat ja im Auto gleichzeitig ein CarPlay-System oder eine Alexa für das Auto. Das muss meiner Meinung nach erst alles geklärt werden und dann wird der Rest ausgefochten. Aber diese Geräte, die man Zuhause herumstehen hat – sei es Alexa oder ein HomePod – sind für mich wie das C-Netz-Telefon von 1985.
Schahab Hosseiny: Das ist ein schönes Bild, Andre. Zusammengefasst sagst du also, dass diejenigen mit den meisten Datenpunkten das Rennen machen. Die Gegenhypothese wäre, dass diejenigen das Rennen machen, die über die Hoheit im Hardware-Bereich verfügen. Das halte ich für einen ganz essenziellen Punkt: Wer hat die Hoheit über Operating Systems. Zumindest auf den mobilen Endgeräten spielt Amazon keine Rolle und ich vermute, das wird auch so bleiben.
Andre Alpar: Total. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum die ihre Geräte fast unter Selbstkostenpreis verkaufen. Deswegen gab es auch schon rechtliche Verfahren und deswegen kaufen die auch verschiedene Home Appliances ein – wie intelligente Türklingeln und Kühlschränke. Das dient vermutlich dazu, mit der Hardware direkt an die Menschen heranzukommen.
„Amazon hat sicherlich auch erkannt, dass das Mobiltelefon der Flaschenhals ist und zwischen ihnen und den Verbraucher:innen steht.“
Und die gehen wahrscheinlich davon aus, dass andere Geräte das auch können und sind deswegen auch in den Hardware-Kampf eingestiegen.
Schahab Hosseiny: Wie hoch ist der Log-in-Effekt? Wie stark stecke ich in diesen Systemen drin, wenn ich beispielsweise einmal angefangen habe, Alexa oder Siri zu nutzen? Ich persönlich habe Alexa genutzt und bin dann auf Siri umgeschwenkt und das war schon mit Aufwand verbunden. Wenn man sich einmal auf ein System eingelassen hat, wie leicht oder schwer kommt man dann aus diesem System inklusive App-System wieder raus?
Andre Alpar: Ich glaube, je besser die Systeme werden, desto kleiner wird der Log-in-Effekt sein. Der Idealfall hinsichtlich jeden Systems ist, dass wir wegkommen davon, dass ich die Sprache des Computers lernen muss und dazu hinkommen, dass der Computer meine Sprache erlernt. Ich möchte in der Lage sein, nach der besten Pizzeria in meiner Umgebung zu fragen und vom Gerät verstanden zu werden. Und je besser die Geräte werden, desto geringer müsste eigentlich auch die Wechselstufe sein. Der Log-in wird darüber also nicht stattfinden. Die Frage ist dennoch, wer Zugriff auf die meisten Daten erhält und wie gut das System ist. Das Problem meiner Meinung nach ist immer noch, dass die Erwartungen an unsere Geräte zu sehr von Star Trek geprägt sind und wir zu viel von ihnen erwarten. Aber irgendwann wird dieser Turning Point kommen, an dem die Geräte tatsächlich das erfüllen können, was die breite Masse von ihnen erwartet.
Bei diesen Voice-Interaktionsgeräten finde ich es immer am interessantesten, sich Kinder anzuschauen, die solche Geräte im Haushalt haben. Was die von Google und Alexa wollen und die Selbstverständlichkeit, mit denen sie mit diesen Geräten sprechen, sind ganz erstaunlich. Die sind auch nicht enttäuscht, wenn es mal nicht klappt – dann versuchen sie eben etwas anderes. Wenn diese Generation, die heute fünf bis zehn Jahre alt ist, daran gewöhnt ist, primär mittels Sprache mit diesen Geräten zu interagieren, warum sollte die dann später auf einem Display rumtippen? Das Gleiche gilt für alte Leute. Als ich das erste Mal Discord bedient habe, war das kein schönes Bild. Ich war schon etwas überfordert von dem ganzen Geflacker. Und wenn ich an die Generation vor mir denke, können die vielleicht noch E-Mails und das World Wide Web benutzen, aber viele zeitgemäße Sachen stellen für die zu hohe Barrieren dar. Die Sprachwelt kann die Barriere der Bedienbarkeit senken, alte Generationen abholen und denen mehr zugänglich machen. Ich sehe also an beiden Enden der Alterspyramide ganz starke Vorteile von einer primär sprachbasierten Mensch-Maschine-Interaktion.
Wie Digital-Marketing mit der zunehmenden Channel-Diversität umgehen sollte
Schahab Hosseiny: Das ist ein spannender Punkt. Mein Sohn ist jetzt dreieinhalb Jahre alt und hat verstanden, dass es bei Oma und Opa Alexa gibt und dementsprechend wird da auch Alexa angesprochen. Und zu Hause wird Siri angesprochen. Im letzten Themenschwerpunkt wollen wir noch für die Diversifikation im Bereich des Digital-Marketings und channel-übergreifenden Marketings reden. 2021 war in der Hinsicht ein ganz spannendes Jahr; viele wichtige Player haben relevante Reichweiten aufgebaut, allen voran sicherlich TikTok, vor denen Meta zurzeit stark zittert. Wir haben aber auch Clubhouse, Spotify, Telegram, Discord hast du eben schon angesprochen.
Gleichzeitig sind die Marketing-Abteilungen speziell im deutschen Mittelstand entweder stabil groß geblieben oder sogar leicht abgeschmolzen. Als Marketeer hat man heute mit einem kleinen oder gleich großen Team mithin viel mehr Channels zu bedienen. Du hast auch einen starken Agency-Background, deswegen möchte ich Dich fragen, ob wir in Zukunft viel stärkere Spezialisierungseinheiten sehen – sowohl intern als auch extern – oder glaubst du, dass sich ein Großteil dieser Player gar nicht durchsetzen wird? Sprich, werden wir eine weitere Diversifikation erleben oder wird es eher auf Monopole oder Duopole hinauslaufen?
Andre Alpar: Ehrlich gesagt glaube ich, dass es uns alle mental jung und agil hält, dass sich unsere Welt so oft verändert, auch wenn es etwas entgegen der Natur des Menschen ist, sich ständig mit Veränderungen auseinanderzusetzen. Ich bin ein großer Freund von Spezialisierungen, auch wenn ich nicht weiß, ob meine Position so richtig ist. Ich schaue mir immer gerne an, wofür neue spezialisierte Agenturen entstehen. Alle, die schon auf Instagram groß waren, haben auch schnell mit TikTok nachgezogen und ich habe auch schon eine Pinterest-Agentur und mehrere LinkedIn-Agenturen gesehen. Ich glaube, die schwimmen alle im Strom der Zeit mit und das wird es in unserem Bereich immer geben. Bisher habe ich noch keine Discord- oder Snapchat-Agenturen gesehen und mir stellt sich auch die Frage, ob die sozialen Medien, die mit kurzen Bewegtbildern arbeiten, nicht von der Art her alle fast identisch sind.
Ich halte es für wichtig, die etablierten Systeme kontinuierlich und gut strukturiert zu bespielen. Gleichzeitig fände ich es sehr elegant, wenn man einen Teil einer Ressource hat – etwa eine Person, die einem für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung steht – mit der man immer wieder etwas versucht. Wenn irgendetwas Neues passiert, nehme ich zum Beispiel 500 Euro in die Hand und probiere das aus. Das habe ich beispielsweise gemacht, als LinkedIn Ads auf den Markt kamen. Ich habe mir also den Buchungsalgorithmus und das Targeting angeschaut und damit rumexperimentiert. Dementsprechend bin ich ein großer Freund davon, vieles einfach selbst auszuprobieren; einfach mal drei NFTs kaufen, wieder verkaufen, von der Wallet in eine Hardware-Wallet transferieren, von der Hardware-Wallet auf eine Plattform und auf einer anderen Plattform verkaufen.
Ich fühle mich dabei auch nicht wohl oder sicher und zittere dabei auch immer, aber so bekomme ich eine Vorstellung von diesen neuen Sachen und was ich damit machen kann. Dementsprechend erachte ich es als sehr sinnvoll, sich eine Ressource zum Experimentieren freizuhalten. Was man dann in einer Agentur oder In-House macht, ist noch eine ganz andere Diskussion.
„Meiner Meinung nach sollte man mit viel Kommittent an den etablierten Kanälen dran bleiben und einige Ressourcen für das Experimentieren freihalten.“
Anschließend kann man diskutieren, ob man etwas verändern möchte und wenn man das möchte, muss man das wieder mit vollem Kommittent machen.
Schahab Hosseiny: Ich speichere mal für mich ab, dass es auf OpenSea Kunstwerke von Andre Alpar gibt.
Andre Alpar: Nein, nein, ich habe welche gekauft, aber ich weiß noch nicht, ob ich eine gute Kaufentscheidung getroffen habe. Ich habe aber auch noch keine Tokens von Euch für diese Konferenz gesehen. Die könnte man dort handeln, auch wenn es keine Kunstwerke sind. Das könnte auch ein Badge sein. Ich habe mich übrigens jahrzehntelang über QR-Codes lustig gemacht, aber seit Corona sind die ein etabliertes Mittel. Das ist eine wirklich spannende Entwicklung.
Schahab Hosseiny: Du hast einen starken Performance-Marketing-Background – unter anderem hast Du die AKM3 gegründet und erfolgreich an Publicis verkauft. Schauen wir uns einen großen Player wie Airbnb an; die haben vor einer Weile eine Entscheidung getroffen und verkündet, dass sie das Performance-Marketing massiv reduzieren und sich auf das Branding konzentrieren werden. Und der Plan ist aufgegangen. Die werden sich weiterhin auf das Branding fokussieren, weil im Bereich der CPCs die Competition teilweise sehr stark geworden ist und die Preise immens steigen. Ich kann mich noch an Aussagen von Performance-Marketeers erinnern, die meinten, dass sie den Displayern den Markt streitig machen werden. Jetzt scheint sich das aber wieder zu drehen. Wie betrachtest du das mit deinem Performance-Marketing-Background? Sehen wir das Revival des Brandings oder meinst du, dass Branding auch immer einen Performance-Aspekt hat und die Metriken dementsprechend sehr ähnlich sind?
Andre Alpar: Ich will gar nicht zu sehr über die genannte Firma schimpfen, weil ich die gut finde und deswegen habe ich von denen auch ein paar Aktien. Für den Hospitality-Bereich ist das mit Abstand die größte Brand, deswegen finde ich die Firma so interessant. Ich halte das aber trotzdem für eine ganz dumme Entscheidung und ich kaufe das denen nicht ab. Wenn jemand nach einer Ferienwohnung in Köln sucht, warum würde ich als Firma nicht in den Suchergebnissen auftauchen wollen? Die möchten natürlich eine Destination Site werden. So wie die Leute direkt zu Amazon gehen, wenn sie etwas bestellen möchte, statt den Umweg über eine Suchmaschine zu nehmen, will Airbnb die Destination Site für das Thema Ferienwohnungen werden. Das Problem ist aber, dass niemand jeden Tag nach Ferienwohnungen sucht. Die haben also viel Reise-Content geschaffen, den man jeden Tag konsumieren kann und wenn es dann so weit ist, soll man inspiriert durch Airbnb auch dort buchen.
Ich verstehe die Branding-Strategie und das ist auch ein kluger Zug, aber kein Performance-Marketing zu machen, halte ich trotzdem für eine schlechte Idee. Ich glaube, dahinter steckt der massive Anstieg der Buchungsvolumina, der sie dazu verleitet hat, sich den ziemlich teuren Posten Performance-Marketing zu sparen. Die waren komplett ausgebucht und haben nicht eingesehen, warum sie noch mehr Nachfrage einkaufen sollten. Gerade während der Pandemie ist der Trend stark vom Hotel zur Ferienwohnung geschwenkt, weil man dort weniger soziale Kontakte hat. Ebenso hat Amazon vollkommen unerwartete Gewinne eingefahren, weil die Nachfrage organisch so stark nach oben gegangen ist, dass deren Lager irgendwann leer waren. Das Weglassen des Performance-Marketings zu einem permanenten Zustand zu machen, kann aber kein kluger Schachzug sein, egal, wie toll die Firma ist.
Die Audience fragt, Andre antwortet
Schahab Hosseiny: Ich glaube, das war eine gute Aktien-Auswahl. Wir steigen jetzt noch kurz ins Slido ein. Erste Frage: Was rätst Du als alter Hase heute jungen Menschen, die vor ihrer Ausbildungs-/ Studienwahl stehen und ins Digital Business wollen?
Andre Alpar: Vielen Dank für die Frage. Ich würde wahrscheinlich darauf achten – ob mit einer Ausbildung oder einem Studium hängt von dem Typ Menschen ab – meinen ersten Job an einem Ort des Könnens anzunehmen. Ich würde also entweder zu einer Agentur oder Firma gehen, die in dem Bereich gut ist, damit man da lernen kann, wie es wirklich gut gemacht wird. Das Problem besteht darin, dass wenn man gerade erst anfängt, man gar nicht weiß, ob ein Arbeitgeber gute Leistungen erbringt oder nicht, denn man hat keine Referenzpunkte. Deswegen halte ich es für sehr hilfreich, wenn ich jemanden fragen kann oder irgendeinen externen Hinweis über meinen potenziellen Arbeitgeber bekomme. Es muss aber klar sein, dass der erste Job noch nicht zur Ernte gehört, sondern zum Sähen. Das bedeutet, dass man in einem ersten Job noch viel lernen sollte. Meiner Meinung nach wirkt das Wunder und ist ein guter Stempel auf dem Lebenslauf, wenn man sich nach dem nächsten Job umschaut.
Schahab Hosseiny: Nächste Frage: Was für ein Business würdest du heute starten, wenn du noch einmal Mitte 20 oder am Anfang wärst? Oder anders gefragt: Würdest du überhaupt noch ein Business starten, wenn du Mitte 20 wärst? Oder würdest du eher dein Leben genießen wollen?
Andre Alpar: Für einen jungen Menschen ist das Set-up folgendermaßen: Er hat mehr Zeit, aber weniger Geld als ein älterer Mensch. Wenn man also Zeit hat und damit arbeiten und wetten kann, würde ich nach etwas suchen, das viel Reichweite hat und wo der Wettbewerb aber noch nicht so hoch ist. Ich würde beispielsweise versuchen, einen Discord-Server zu einem Thema aufzuziehen, das ich interessant finde und für dessen Moderation und Aufbau ich Zeit habe. Das heißt, ich würde mich auf eine aktuell angesagte Mediengattung konzentrieren und viel Zeit damit verbringen. Gleichzeitig würde ich damit rechnen und mit von Anfang an darauf vorbereiten, dass ich danebenliegen könnte. Zusammenfassend würde ich versuchen, mir ein Steckenpferd zu bauen, mir ein interessantes Themenfeld aussuchen und versuchen, auf irgendeinem Medium damit Reichweite zu generieren, auf dem noch nicht zu viele andere Akteure aktiv sind. Ich würde etwa einen Discord-Server zum Thema Konferenzen betreiben und dann an Konferenzveranstalter:innen herantreten. Oder ich würde versuchen, eine noch unbekannte Nische auf LinkedIn zu bespielen.
„Es gibt immer wieder Opportunitäten, weil in unserer Welt immer wieder neue Trends aufkommen. Es kommt dabei immer zu einer S-Kurve, die Frage ist nur, wie hoch sie jeweils ist.“
Wenn etwas gerade erst an Fahrt aufnimmt, kann man nicht absehen, wie groß das am Ende wird. Das kann in die Hose gehen, das kann aber auch richtig groß werden. Deswegen wäre ich da agil unterwegs und würde versuchen, möglichst früh ein Thema zu besetzen. Das kann ein neues Thema auf einer etablierten Plattform sein – ich könnte etwa Content zu NFT-Themen auf LinkedIn verbreiten. Ich sehe aktuell immer wieder etablierte Player auf LinkedIn, die vor Kurzem angefangen haben, NFT-Content auf LinkedIn zu verbreiten. Die versuchen, Meinungsführer:innen in diesem Bereich zu werden, indem sie amerikanische Inhalte auf Deutsch übersetzen und wiederkäuen. Und das ist wirklich keine Raketenwissenschaft. Die andere Möglichkeit ist, ein etabliertes Thema wie Kochen auf einer Plattform zu verwenden, die gerade am Abheben ist.
Schahab Hosseiny: Letzte Frage: Was ist dein Ausblick auf die Eventbranche? Kommt sie komplett aus dem Corona-Winterschlaf zurück? Füllen OMR und dmexco die Hallen? Wir haben heute zum Beispiel auch eine sehr hohe No-Show-Rate wegen Corona.
Andre Alpar: Ich hoffe es. Ich habe Angst, dass es nie wieder so wird, wie es mal war, aber ich glaube auch stark an eine hybride Lösung.
Schahab Hosseiny: Wunderbar, eine hybride Veranstaltung wie diese hier hältst du also auch für den richtigen Weg. Vielen herzlichen Dank, Andre.
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