Im Jahr 2005 beim gemeinsamen Kaffeetrinken gegründet, wurde die Beratungsfirma Netigate schnell zum führenden europäischen Anbieter für Online-Befragungen und Feedback-Management. Das Softwareunternehmen möchte seinen Kund:innen durch die Auswertung von Feedback-Daten Dritter dabei helfen, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter:innen und Kund:innen zu verstehen und sie so zum Treffen und Umsetzen fundierter Entscheidungen befähigen. Mittlerweile verfügt Netigate über Offices in Stockholm, Oslo, Warschau, Berlin und Frankfurt, 150 Mitarbeiter:innen und über 1.700 Kund:innen auf der ganzen Welt.
In seinem Vortrag auf der OMKB Summer Edition sprach Kristian Higgins, Senior Sales Executive bei Netigate, darüber, warum die Bindung von Kund:innen so schwierig ist, wie die Pandemie diesen Effekt noch weiter verstärkt hat und warum Feedback so wichtig für diese Bindung ist, welchen Einfluss Authentizität spielt und wie man einen Monolog in einen Dialog verwandeln kann. Im Anschluss an seine Session ging er im Q&A mit den OMKB-Hosts Schahab Hosseiny und Mario Rose sowie den Fragen der Audience noch weiter in die Tiefe. Hier ist das spannende Interview.
Vertrauen durch Transparenz – wie man richtig Fragen stellt
Schahab Hosseiny: Ein sehr interessanter Vortrag, Kristian. Du hast viel über Feedback und seinen Wert für Unternehmen gesprochen, deswegen wüsste ich gerne, wie du das Thema DSGVO respektive GDPR betrachtest. Ist es, seit die Sensibilisierung hinsichtlich des Datenschutzes zugenommen hat, wichtiger geworden, Feedback unmittelbar und auf freiwilliger Basis von den Kund:innen zu erhalten? Und wie geht Netigate mit diesem Thema um?
Kristian Higgins: Ich halte das für ein wichtiges Thema. Bei Netigate kümmern wir uns nicht nur um das Feedback von Kund:innen, sondern auch um das von Mitarbeiter:innen. Dabei ist es essenziell, dass das Feedback anonym abgegeben wird und dass man transparent vorgeht. Wir haben mehrere Möglichkeiten, das Verhalten von Menschen zu analysieren; über Tracking, das Sammeln von Daten und Beobachtungen. Aber wenn wir Loyalität kreieren möchten, sollten wir im Kopf behalten, dass niemand einen Stalker heiratet. Wenn man langfristig mit jemandem zusammenbleiben möchte, muss man der Person mit Respekt begegnen. Proaktives Nachfragen ist etwas gänzlich anderes als heimliches Beobachten.
Das alles muss also klargestellt sein, bevor man Reviews veröffentlicht. In unserer Software wird das ganz deutlich definiert; wenn die Ergebnisse anonym sein sollen, können wir darauf nicht zugreifen und keine IP-Adressen zurückverfolgen.
“Es geht darum, Anreize für einen freiwilligen Dialog zu schaffen, statt diesen zu erzwingen.”
Nach Feedback zu fragen finde ich eine wesentlich respektvollere Form der Interaktion als das Abgreifen von Daten.
Schahab Hosseiny: Wenn du über die Motivation im Dialog mit Kund:innen und Mitarbeiter:innen redest, sprichst du einen wichtigen Punkt an. Wenn man im E-Commerce tätig ist und mehr Informationen von den Kund:innen auf einer freiwilligen Basis erhalten möchte, welche Möglichkeiten sollte man dann in Betracht ziehen? Welche Empfehlungen würdest du dafür aussprechen? Wie kann man freiwillig preisgegebene Informationen in regelmäßigen Abständen erhalten, ohne dass die Kund:innen das Gefühl haben, sie wären nur eine von tausend gefragten Personen und ihre Meinung würde keinen Unterschied machen?
Kristian Higgins: Die Fragestellung spielt eine richtig große Rolle. Als Kund:in fragt man sich immer: Was springt für mich dabei raus, wenn ich diese Frage beantworte? Und wenn die Frage klingt, als würde sie nur dem Unternehmen und dem Sammeln von Daten dienen, hat man keine Motivation, darauf zu antworten. Es gibt unspezifische Feedback-Aufforderungen wie: Hier könnt ihr euer Feedback hinterlassen. Das ist schon einmal nicht besonders motivierend und das gilt insbesondere, wenn man keine Antwort auf Feedback erhält. So etwas passiert häufig in Unternehmen; Mitarbeiter:innen werden nach Feedback gefragt, antworten gegebenenfalls mit negativem Feedback und darauf wird nicht reagiert.
Wenn man allerdings merkt, dass Feedback tatsächlich ankommt, macht das einen ganz anderen Eindruck. Auf der Netigate-Seite gibt es unter anderem ein Ideen-Portal, wo Nutzer:innen sich über Neuerungen informieren, Features wünschen und die Wünsche anderer Nutzer:innen bewerten können. Wenn ein Wunsch genügend Upvotes erhält, wird das Feedback sichtbar und unsere Developer gehen darauf ein. Und so kann es dazu kommen, dass Nutzer:innen sich etwas wünschen und in der nächsten Woche ist der Wunsch schon Realität geworden.
Dabei spielt auch das Thema Echtzeit eine große Rolle – es sollte also möglich zügig zu einer Reaktion kommen. So ist das in den Zeiten der One-Day-Deliveries und Instant Everything und in einer immer schneller werdenden Welt finde ich das auch verständlich. Wenn ein Paket nicht am selben Tag ankommt, braucht man das Produkt am nächsten Tag vielleicht gar nicht mehr und mit Feedback ist es genauso.
“Die althergebrachten Herangehensweisen sind so langsam, dass die Antworten nicht mehr relevant sind.”
Man muss also die richtigen Fragen stellen, die Fragen müssen spezifisch und personalisiert sein und dann muss eine Antwort kommen.
Schahab Hosseiny: Inwieweit kann man als Unternehmen über psychologisch schlau gewählte Fragestellungen das Thema Cross- und Up-Sale an die Kund:innen herantragen, ohne zu plump zu wirken? Damit beschäftigt ihr euch bei Netigate sicherlich tagtäglich, es gibt sicherlich auch empirische Forschung und Fragetechniken dazu. Was würdest du also empfehlen, wenn man gerade anfängt, sich mit diesem Themenkomplex zu beschäftigen?
Kristian Higgins: Die gibt es auf jeden Fall. Wir haben ein Team bestehend aus Psycholog:innen, Marktforscher:innen und Soziolog:innen, die sich damit tagtäglich auseinandersetzen. Manchmal ist die Frage auch gar nicht so eindeutig.
“Teilweise haben wir Bedürfnisse, auf die wir die Antwort noch gar nicht kennen. Wir wussten zum Beispiel nicht, dass wir Smartphones brauchen, bis sie da waren.”
Wir wussten aber um unsere Schwierigkeiten, wenn es darum geht, unsere Tage zu organisieren und Kontakte aufrechtzuerhalten. Auf solche Probleme geht man also ein und findet eine Lösung dazu. Deswegen muss die Fragestellung manchmal wesentlich breiter gefächert, detaillierter und tiefsinniger sein, als man sich das oft vorstellt.
Quid pro quo – Anreize für authentisches Feedback
Schahab Hosseiny: Sprechen wir noch etwas mehr über die Motivation. Du hast auch viel über Reviews bei verschiedenen Plattformen gesprochen, die mit extrinsischer Motivation arbeiten. Man bekommt also Geld, einen Gutschein oder einen Sachwert im Gegenzug für ein Feedback geschenkt. Was löst das bei den Nutzer:innen aus und wie stehst du dazu? Kann dieses Konzept dauerhaft gut funktionieren oder führt das nur dazu, dass Nutzer:innen nur dann Feedback hinterlassen, wenn sie eine Gegenleistung erhalten?
Kristian Higgins: Wenn man Feedback von jemandem möchte, sollte man unbedingt eine Gegenleistung erbringen – das muss aber nicht Geld sein. Im Gegenteil kann das schnell zu einer falschen Authentizität führen. Man muss sich überlegen, welche Motivation Kund:innen haben, um eine Bewertung abzugeben. Und weil die Bedürfnisse der Kund:innen immer komplexer werden und Produkte immer mehr abdecken können, müssen die Kund:innen das Gefühl haben, dass sie mit ihrem Feedback etwas bewirken. Ein Feedback muss entweder dem Profil der Kund:innen dienen – indem sie eine bestimmte Sache unterstützen, stehen sie selbst besser da – oder etwas bewegen.
Die finanzielle Motivation schätze ich als demgegenüber geringer ein, deswegen ist es nicht notwendig, Kund:innen für Reviews zu bezahlen. Bezahlte Reviews klingen zudem oft nicht ehrlich, sehr generell und nicht als würden sie aus dem Alltag stammen. Der Alltag ist so agil und flexibel und darauf müssen wir reagieren.
“Wer die richtigen Fragen stellt und sich die Antworten anhört, wird auch die richtige Antwort finden.”
Weil Unternehmen so viele Kund:innen haben, sind sie zum Sammeln, Auswerten, Messen und Reagieren auf technologische Innovationen angewiesen.
Schahab Hosseiny: Du sprichst viel über Technologie und dass es für große Unternehmen mit vielen Kund:innen eine skalierbare Lösung geben muss, um eine Vielzahl an Feedback zu erhalten. Auf welche Weise fragt man am besten nach Feedback? Macht man das am besten digital oder lässt sich das auch durch Telefonanrufe lösen? Inwieweit spielen auch Messenger-Dienste eine Rolle? Da findet schließlich eine ganz andere Kommunikation statt als in statischen Formularen.
Kristian Higgins: Wir bespielen jeden existierenden Kommunikationskanal, Feedback kann also überall abgefragt werden. Das kann in einem Vieraugengespräch geschehen, über einen Link, einen QR-Code oder ein Stück Papier, ebenso wie durch einen Chatbot.
“Man bekommt nicht immer Feedback, wichtig ist aber, den Kund:innen diese Möglichkeit einzuräumen.”
Insbesondere im Fall von negativem Feedback ist es wichtig, dass die Kund:innen wissen, wohin sie sich wenden können und dass ihnen zeitnah die Lösung präsentiert wird.
Schahab Hosseiny: Das ist ein sehr systemischer Ansatz. Wenn man als Unternehmen einen Touchpoint mit einer potenziellen Kundin oder einem potenziellen Kunden hatte, wie definiert man das Timing so, dass die Response Rate maximal hoch ist? Wenn zu viel Zeit zwischen Touchpoint und Frage vergeht, wird die Response Rate sicherlich zurückgehen. Dazu gibt es sicherlich keine detaillierte Antwort, weil die abhängig vom jeweiligen Case ist. Kannst du dennoch etwas dazu sagen?
Kristian Higgins: Um Details nicht zu verpassen, müssen die Augen und Ohren immer offen sein. Das bedeutet, dass Regelmäßigkeit zu einem höheren Rücklauf führt. Wenn man auf die richtige Weise antwortet, motiviert man die Kund:innen dazu, dasselbe wieder zu tun. Das bedeutet, dass eine Feedback-Strategie aufgebaut werden muss. Das ist eine Kombination aus regelmäßigen Fragen und regelmäßigem Zuhören und man muss dafür sorgen, dass die Auswertung und Antwort gut sind. So entwickelt man eine Feedback-Kultur und eine Community. Wir kennen das aus unseren Freundeskreisen: Man fühlt sich bei den Menschen gut aufgehoben, die aufmerksam zuhören.
Schahab Hosseiny: Ich nehme mit, dass die Antwort extrem wichtig ist – dass man Feedback nicht eindimensional abfragt, sondern darauf antwortet, um eine Feedback-Kultur zu etablieren. Vielen Dank und ich übergebe an Mario.
Warum Erlebnisse und Authentizität so wichtig sind
Mario Rose: Danke, Schahab. Ich erinnere mich immer gerne an Statistiken und von denen hast du auch einige gezeigt. Davon fand ich eine besonders erschreckend, aber auch aussagekräftig, und zwar hast du von einem Experience Gap gesprochen. Wenn ich das richtig verstanden habe, besteht diese Gap darin, dass 80 Prozent der Unternehmen glauben ein Erlebnis zu kreieren, während durch acht Prozent der Rezipient:innen das genauso wahrnehmen. Das bedeutet, dass 92 Prozent aller Unternehmen daran scheitern, Erlebnisse zu kreieren. So eine große Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung habe ich selten gesehen. Gleichzeitig müssen Unternehmen individuelle Antworten auf die Frage finden, wie man ein Erlebnis kreieren kann und was das überhaupt bedeutet. Was glaubst du, sind die Hauptursachen für diese desolate Statistik?
Kristian Higgins: Die Hauptursache liegt wahrscheinlich darin, dass viele nicht wissen oder missverstehen, was ein Erlebnis ist. Es gibt schlichtweg Unternehmungen, die nicht automatisch zu einem Erlebnis führen. Man kann das auch von der Beziehung zwischen Unternehmen und Kund:innen abstrahieren, dasselbe beobachten wir nämlich in der Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Mitarbeiter:innen. Nur weil beispielsweise ein Ping-Pong-Tisch im Büro steht oder weil es dort Äpfel und Bananen gibt, sind die Mitarbeiter:innen nicht automatisch motiviert. Das sind zwar nette Add-ons, aber die schaffen noch keine Kultur.
“Eine Kultur entsteht nur, wenn die Kommunikation gesund ist und ein Erlebnis wird nicht geschaffen, wenn es keine direkte Kommunikation passiert.”
Eindimensionale Kommunikation kann einen schönen Mantel kreieren, sie ist aber keine menschliche Erfahrung.
Ich könnte mein Bier beispielsweise im Supermarkt kaufen, aber ich kaufe es lieber im Späti, obwohl dieselben Marken dort mehr kosten. Ich kaufe es lieber im Späti, weil ich da ein Erlebnis habe. Vor dem Späti steht nämlich schon eine Community und die Art und Weise der Begrüßung und der sonstigen Kommunikation ist dort ganz anders. Da habe ich ein zwischenmenschliches Erlebnis und deswegen werde ich da weiterhin hingehen.
In diesem Sinne unterscheiden sich die Kund:innen von heute von den Kund:innen von gestern; Produkte müssen immer mehr abdecken und es müssen authentische Erlebnisse geschaffen werden, die zum jeweiligen Profil der Kund:innen passen. Wir könnten auch nicht mehr zurückgehen und einen Taschenrechner, ein Telefon und einen Fotoapparat mit uns herumtragen. Wir wollen alles in der Lösung haben und dasselbe gilt für den emotionalen Aspekt.
“Wenn der Bierkauf im Späti so viele meiner Emotionen und Bedürfnisse abdecken kann, warum sollte ich dann in den Supermarkt gehen?”
Mario Rose: Ich habe verstanden, dass Unternehmen Akzente mit Erlebnissen verwechseln, obwohl das natürlich trotzdem eine individuelle Sache bleibt. Den Bierkauf beim Späti werden unterschiedliche Personen unterschiedlich wahrnehmen. Eine weitere Statistik in deinem Vortrag besagte, dass für 90 Prozent der Millennials die Authentizität das wichtigste Merkmal ist, das zu einer Kaufentscheidung führt. Auf Schahabs Frage nach monetären Incentives zum Generieren von Reviews hast du geantwortet, dass damit eine falsche Authentizität geschaffen werden kann. Als Verbraucher:innen können wir sicherlich unterscheiden zwischen authentischen Bewertungen und solchen, für die es irgendeinen Anreiz gab. Aber wie erkennt Netigate das? Wie könnt ihr echt von falscher Authentizität unterscheiden? Ist das überhaupt möglich?
Kristian Higgins: Netigate liefert die technische Unterstützung und wir haben auch Teams bestehend aus Marktforscher:innen, Psycholog:innen und Soziolog:innen, die sich damit beschäftigen. Die Unternehmen können sich entscheiden, ob sie unsere Teams beauftragen oder unsere Tools ganz individuell einsetzen möchten. Falsche Aussagen sind ein sehr kompliziertes Thema, weil eine gute Frage nicht automatisch eine ehrliche Antwort produziert.
Gleichzeitig kann eine falsche Review von jemand anders als gut empfunden werden und zu einer Kaufentscheidung führen. Entscheidend ist also die subjektive Wahrnehmung. Wenn man sich als Unternehmen allerdings zu große Mühe gibt, ein Profil zu erstellen, das nicht der Wahrheit entspricht, fliegt das irgendwann auf. Das sieht man teilweise auch an politischen Messages, die Unternehmen in manchen Ländern verbreiten und in anderen nicht, weil die Zielgruppen unterschiedlich sind. Dank des Internets können wir das aber sehen und diese Inkonsistenz aufdecken.
Schahab Hosseiny: Wir haben schon über große Unternehmen gesprochen, die eure Produkte einsetzen. Wie kann ich mir das konkret vorstellen? Habt ihr eine Sentiment-Analyse? Wenn man hunderttausende Fragebögen einsammelt, stellt sich natürlich auch die Frage nach der Personalkapazität und man muss sich entscheiden, mit welchem Feedback man sich dezidiert beschäftigen kann. Häufig ist es auch schwierig, aus Feedback die richtige Richtung abzuleiten – ich nehme an, dass die Technologie die Betrachter:innen in dieser Hinsicht bereits extrem unterstützt und das Feedback einordnet. Habt ihr beispielsweise ein Tool, dass anhand der Rhetorik eines Feedbacks Hinweise dazu geben kann, wie ein Feedback einzuordnen ist?
Kristian Higgins: Wir haben eine Vielzahl an Reports und Analysen in Bezug auf dieses Thema. Wir haben auch eine Vielzahl an Vorbereitungen für verschiedene Segmente, die Inspiration liefern und auf die man einfach zugreifen kann. Der Faktor Zeit spielt eine große Rolle und wir sorgen dafür, dass man möglichst schnell und effektiv mit unseren Tools arbeiten kann und keine Zeit mit Themen verschwendet, die wir bereits ausgearbeitet haben und weiterhin ausarbeiten.
Da findet nämlich eine konstante Entwicklung statt.
Schahab Hosseiny: Vielen Dank.
Mario Rose: Vielen Dank, dass du unser Gast gewesen bist.
Hat dir das Q&A mit Kristian Higgins gefallen? Dann schau oder hör dir doch auch diese OMKB-Session mit Philipp Klöckner an: „Alles falsch gemacht“ und trotzdem bald der erfolgreichste Marketing- und Finance-Podcast!