TIER Mobility begann seinen Siegeszug im Bereich Mikromobilität 2018. Und auch wenn der unternehmerische Erfolg gewünscht und beabsichtigt war, wurden selbst die Gründer von der Schnelligkeit überrascht, mit der sich TIER Mobility an die Spitze setzte. Die beiden Meilensteine von einer bzw. zwei Millionen Fahrten wurden schon 2019 erreicht, ein Zeichen dafür, wie groß der Demand beim Kunden ist. Durch diverse Übernahmen, unter anderem des in die Insolvenz gegangenen Mittbewerbers Coup 2020 sowie auf dem Gebiet der swappable batteries – der austauschbaren Akkus – konnte TIER Mobility seine Fahrzeugflotte und seine Ladeinfrastruktur massiv ausbauen. 2021 war das Unternehmen nicht nur in 54 deutschen Städten, sondern neben der Schweiz und Österreich auch in einer Großzahl weiterer Länder vertreten.
Video mit Philip Reinckens von TIER Mobility
Philip Reinckens stieg 2019 bei TIER Mobility GmbH als Country Manager Germany ein. In seiner jetzigen Position als VP & Regional GM verantwortet der gebürtige Kasseler alle operativen und kommerziellen Aktivitäten in Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie Zentral- und Osteuropa.
Schahab Hosseiny, CEO von Think11 und Co-Host des OMKB-Talks, traf Philip Reinckens in Berlin, um mit ihm über die weißen Flecken auf der Mobility-Landkarte, Kunden Schnittmengen und die Zukunftspläne von TIER Mobility zu sprechen.
Kann TIER Mobility in einem stark umkämpften Markt wachsen?
Schahab Hosseiny: Philip, lass uns mal über den E-Scooter-Markt sprechen. Ist das ein Markt, der am Ende nur für sehr wenige profitabel sein kann? Oder kann es dauerhaft mehrere profitable Unternehmen geben? Es gibt ja im Markt gewisse Hypothesen, die sagen, wir benötigen kreative Monopole: Besser einer macht das Geschäft – und macht das profitabel – statt vieler, bei denen immer nur Geld verbrannt wird, so dass das Geschäftsmodell sich in Summe nicht weiterentwickeln wird. Wie stehst du dazu?
Philip Reinckens: Ich glaube, wenn man sich heute den Markt anschaut, dann ist er zweigeteilt. Du hast auf der einen Seite die großen internationalen Player, u.a. Lime Bike und Voi. Und dann hast du gleichzeitig aber noch ein paar regionale Player. Die sind dann in ein, zwei Städten vorhanden. Beispielsweise gibt es eine Firma, die heißt MOIN, die operieren in Rostock. Da gibt es einen Player, der heißt SKOOTY, der operiert allein in Kassel. Und so teilen wir uns momentan den Markt auf.
Was wir in den letzten zwei, zweieinhalb Jahren in Deutschland gesehen haben, ist, dass insbesondere auch die großen Player erst in den A-Städten angefangen haben: Berlin, Hamburg und so weiter. Sie haben sich dann aber auch sukzessive gleich in die B- und C-Städte ausgeweitet. Das heißt, wenn wir jetzt das Beispiel Kassel nehmen, dort gibt es momentan fünf Anbieter. Zuerst war der kleine Lokale vor Ort und mittlerweile tummeln sich dort alle. Das heißt natürlich auch für die Kleinen – ich schätze, da gibt es fünf bis sieben Player in ganz Deutschland – dass die Situation da irgendwann eng wird.
Weil der Kuchen halt einfach immer kleiner wird und die Kapitalausstattung in den allermeisten Fällen nicht besonders groß ist. Entsprechend fehlt dort das Geld. Es können dann kaum neue Städte eröffnet werden. Preiskämpfe können nicht mitgemacht werden, Marketingaktionen sind schwierig und so fort. Du hast keine Brand. Von daher könnte das irgendwann zu einer Konsolidierung kommen, da gehe ich fest von aus.
Bei den Größeren muss man einfach mal schauen. Wir gucken uns an, wie das Funding der unterschiedlichen Wettbewerber ist. Wir schauen uns an, wie die mit ihrem Geld haushalten. Wir schauen uns an wie viele Städte die eröffnet haben und können uns da grob herleiten, wo die aktuell stehen. Es ist sehr dynamisch. Wer da jetzt wie schnell von der Bildfläche verschwinden wird, kann – glaube ich – kein Mensch sagen. Da kommt dann immer wieder dann der nächste Investor um die Ecke und schießt nochmal was nach.
Es bleibt spannend. Aber wenn Du mich fragst, ist in Deutschland durchaus Platz für zwei bis drei große Player. Und bei den kleineren regionalen muss man einfach schauen, inwieweit die so differenziert sind und so ein regionales Angebot haben, dass das weiter Sinn macht. Oder ob da irgendwann kein Platz mehr für die ist.
„Wer da jetzt wie schnell von der Bildfläche verschwinden wird, kann – glaube ich – kein Mensch sagen.„
Schahab Hosseiny: Du hast gerade das Thema Konsolidierung angesprochen. Du gehst davon aus, dass sich der Markt weiter konsolidieren wird. Ist das Thema M&A für Euch interessant? Und wenn ja, was sind das eigentlich für Assets, die man sich dann im Zweifel einkaufen würde? Ist es die Hardware oder ist das ein Lizenzthema? Was ist es konkret?
Philip Reinckens: Es kommt immer total darauf an. Ich meine, wir haben vor anderthalb Jahren die E-Mopeds von Coup übernommen. Da war es ganz klar ein Hardware- und auch ein Kunden-Thema, wo wir einfach sehr schnell ein neues Vertical aufbauen konnten. Wenn wir jetzt in der E-Scooter-Welt unterwegs sind und sagen, wir würden jemanden übernehmen, ist halt immer die Frage, was kauft man da eigentlich?
Also wenn man schon in einem Markt selber vorhanden oder selber aktiv ist und jetzt einfach nur die Hardware kauft, dann ist es tendenziell nicht so interessant, weil man einfach die Hardware mit der Kapitalausstattung sehr schnell auch selber kaufen kann. Wir haben auch den Vorteil, dass wir einfach gewisse Anforderungen haben, was unser TIER Energy Network angeht, denn wir haben einen gewissen Batterietypen.
Es wird allerdings dann interessant, wenn ein Player Lizenzen hat. Das heißt, die haben vielleicht eine Ausschreibung bei einer Stadt gewonnen und sind dort für eine gewisse Zeit einfach drin. Das könnte ein relevantes, interessantes Thema sein. Oder eine Geografie, wo wir einfach noch nicht sind. Wo man sich überlegt: make-or-buy, was ist da der beste Weg.
Schahab Hosseiny: Jetzt hast Du eben schon über Deutschland gesprochen und auch über Konsolidierung. Wenn wir uns den gesamten Markt mal konkreter anschauen, gibt es hier geografische Bereiche, bei denen ihr als TIER sagt „Die sind für uns hochinteressant, da sind wir noch nicht wirklich aktiv, aber da sehen wir sehr, sehr hohen Demand und das ist bei uns auf der Agenda und auf der Roadmap“?
Philip Reinckens: Wir sind momentan – mit Ausnahme der Emirate – eigentlich nur in Europa unterwegs. Wir sind auch der Meinung, dass Europa für uns der interessanteste und beste Markt ist. Einfach aufgrund der der Dichte der unterschiedlichen Städte und vor allem auch einer sehr fortgeschrittenen Infrastruktur für Fahrräder. Mikromobilität gibt es hier seit vielen Jahren. Nextbike ist jetzt, glaube ich, in Deutschland seit knapp 20 Jahren oder so was.
Das Thema Sharing ist da sehr viel verbreiteter als jetzt in den USA beispielsweise, wo die Leute natürlich seit jeher auf das Auto gepolt sind und die Angebote dort erst in den letzten Jahren entstanden sind. Von daher sind wir mit Europa nach wie vor noch sehr, sehr zufrieden, und es gibt hier nach wie vor noch sehr viel Wachstumsmöglichkeiten. Was die anderen Märkte angeht: Eher opportunistisch, muss man mal ganz ehrlich sagen. Es ist jetzt nicht das erste Ziel auf unserer Agenda.
Podcast mit TIER Mobility VP Philip Reinckens
Schahab Hosseiny: Okay. Also Du sagst, in Europa gibt es noch genug Wachstumspotenzial. Sprechen wir nochmal über E-Scooter. Du hast es ja gerade schon angesprochen: Wie breit kann und vor allem wird sich TIER in seinem Portfolio an Produkten weiter diversifizieren? Ihr seid ja mittlerweile nicht mehr nur ein reiner E-Scooter-Anbieter. Was sind denn so die nächsten relevanten Fahrzeuggruppen?
Philip Reinckens: Wenn man jetzt die letzten drei Jahre einmal Revue passieren lässt, dann sind wir 2018, 2019 mit E-Scootern gestartet, 2020 mit den Mopeds und 2021 mit den Fahrrädern. Und man muss wirklich sagen, dass jeder zusätzliche mode, den man auf die Plattform holt, eine neue Komplexität mit sich bringt. Und diese Komplexität muss man erst mal beherrschen.
Als Beispiel: Bei den Mopeds ist es das ganze Thema Reparaturen, die einfach um ein Vielfaches komplexer sind und für die der Mechaniker neue Skills braucht. Da ist die Ersatzteilversorgung eine ganz andere. Und wo die Hürden, die der Kunde erst mal erklimmen muss, um das Fahrzeug dann zu nutzen, einfach ganz andere sind. Ein Moped wiegt einfach deutlich mehr, fährt sehr viel schneller und das letzte Mal, dass man irgendwie mit 16 vielleicht eine Vespa gefahren ist, ist dann auch schon ein Weilchen her.
Genauso ist es auch mit den Fahrrädern. Dort sind die Themen Sicherheit, Reparatur, neue Maintenance-Bilder, die auftreten, neue Reparaturbilder, dass man die erstmal unter Kontrolle bringen muss. Also kurzum, uns geht es nicht darum, jetzt maximal schnell maximal breit zu werden und das komplette Spektrum abzubilden, sondern wir wollen erstmal das, was wir haben, beherrschen und auch gut beherrschen, weil es einem nichts bringt, da operativ irgendwelche halben Sachen zu machen. Denn dann fliegt Dir die PNL um die Ohren, weil du einfach gewisse Sachen noch nicht kannst, weil du nicht die Capabilities hast, weil du nicht die Software hast und so weiter.
„Die Wettbewerber müssen alle erst mal beweisen, dass der Case fliegt.“
Du hast gerade Fahrzeuge angesprochen. Wir haben noch keine Fahrzeuge, also keine Autos oder Pods im Angebot. Wir sind aber über Partner wie Sixt, FREE NOW in diversen Apps natürlich schon vertreten und entsprechend breit ist das Angebot dann auch über Partnerplattformen. Das Thema Auto ist natürlich auch so eine Sache. Man guckt sich das Wettbewerbsumfeld mit den relevanten Playern an und da gibt es jetzt auch noch kaum welche, die profitabel sind. Die müssen alle erst mal beweisen, dass der Case fliegt. Es gibt einen Wettbewerber, der hat in den USA tatsächlich auch ein Carsharing hochgezogen. Das war jetzt nicht das goldene vom Ei, muss man ganz ehrlich sagen. Von daher: Abwarten, aber offen sein für Optionen, die sich dann bieten.
Schahab Hosseiny: Diese drei Fahrzeuggruppen, die Du da angesprochen hast, Fahrräder, Roller und E-Scooter. Habt Ihr starke Schnittmengen, was Eure Nutzer angeht? Oder erschließt Ihr mit diesen drei Bereichen tatsächlich neue Zielgruppen? Wie groß ist denn eigentlich die Schnittmenge?
Philip Reinckens: Es gibt natürlich eine Schnittmenge, das ist klar. Wir haben schon gemerkt, dass wir über die Mopeds ein komplett neues Segment erschlossen haben. Das hängt einfach am am Use Case, dass du damit den Kilometerbereich so von drei bis maximal zehn Kilometer abdeckst, wohingegen der Scooter dann eher so im Bereich bis drei Kilometer unterwegs ist. Von daher sprechen wir einfach viele neue Kunden damit an.
Die Schnittmenge in Zahlen auszudrücken, ist, glaube ich, schwierig. Und genauso ist es auch mit den Fahrrädern. Dort sind auch neue Kunden hinzugekommen. Aber man hört die Argumente, warum Leute einen Scooter nehmen vs. einem Fahrrad. Das sind teilweise total banale Argumente wie „Ich bin jetzt morgens mit einem Sakko unterwegs und möchte mir nicht das Sakko in der Fahrradkette schmutzig machen. Deswegen nehme ich es einen Scooter”. Und so gibt es für jedes Kundensegment Überzeugungen oder Gründe, warum man das eine oder das andere Fahrzeug nimmt. Das ist eigentlich sehr gut.
Die Frage, welche Fahrzeuggruppe die finanziell erfolgreichste ist, lässt sich von Philip Reinckens leicht beantworten. Danach stellt Schahab Hosseiny die Frage nach den technischen Zielen. Will TIER Mobility der Standard im Bereich flächendeckende Ladenetzwerke auch bei den Wettbewerbern werden? Philip Reinckens erklärt die Überlegungen und Ziele, spricht über den Erfolg des eigenen TIER Energy Networks, die Incentivierung des Kunden und sieht zukünftig durchaus Möglichkeiten als technischer Vorreiter. Bei TIER Mobility ist man sehr happy über die Adoption Rate und Philip Reinckens betont, dass man das Geschäft durchaus mit den lokalen Gegebenheiten im Hinterkopf betreibt. Das Thema Ausfallsicherheit und der Umgang damit seitens TIER Mobility kommt auf den Tisch.
Börsengänge und gewagte Business Cases
Schahab Hosseiny: Facebook wurde im Rahmen des Ausfalls jetzt an den Aktienmärkten sehr, sehr stark abgestraft und die Aktie discountiert. Sprechen wir vielleicht mal über den Wettbewerb, um beim Aktienmarkt zu bleiben. Helbiz ist ein Wettbewerber und mittlerweile an den Aktienmärkten handelbar. Bird hat angekündigt, jetzt über eine SPAC – inklusive leichtem Discount, wie ich jetzt erlesen konnte – an die Aktienmärkte zu drängen. Und Lime spekuliert ja auch, über eine SPAC den Gang an die Börse zu wagen. Wie ist Eure Position zu einer etwaigen IPO als europäischer Marktführer?
Philip Reinckens: Ich glaube, wenn man sich die Riege der Investoren anschaut, mit denen wir dort zusammenarbeiten, lehnt man sich nicht zu sehr aus dem Fenster, wenn man sagt, dass natürlich auch ein VC irgendwann seinen Exit haben möchte. Das ist part of the game. So viel sei erstmal gesagt. Die Frage ist halt, wie lange? Da steht keiner von uns unter Zeitdruck. Ob das jetzt zwei, drei, vier, fünf Jahre sind: Wie gesagt, die Investoren sind dort eher langfristig in uns investiert und suchen da nicht den den schnellen Exit. Von daher geht es uns erst mal darum, die Prozesse entsprechend sauber aufzubereiten und stabil zu halten. Dass wir letztendlich, wenn es denn mal soweit sein sollte, dann auch die Voraussetzungen mitzubringen, die ein Kapitalmarkt benötigt.
Ob jetzt SPAC, ob jetzt IPO, da muss jeder seinen seinen richtigen Weg finden. Ich persönlich gucke momentan ein bisschen skeptisch auf den SPAC-Markt. Weil einfach das Signaling noch mal ein anderes ist. Auch was die Anforderungen an Due Diligences angeht, was die Anforderungen an Reporting angeht, was die Anforderungen an Profitabilität angeht, ist das eher etwas, was ich ganz persönlich – meine Meinung – jetzt vielleicht nicht für den Königsweg halte.
Schahab Hosseiny: Werden die IPOs eine Implikationen auf Euer Geschäft haben? Wenn Lime und Bird jetzt an die Aktienmärkte drängen? Oder sagst Du „Wir sind da relativ entspannt“? Glaubst Du, das wird Implikationen für Euch haben?
Philip Reinckens: Es ist halt die Frage, was die raisen und was die mit der Kohle machen, die sie geraised haben. Momentan ist es so, dass wir kapitalseitig sehr gut aufgestellt sind und wir neben der Softbank-Runde auch eine Kreditlinie von Goldman Sachs bekommen haben. Das heißt, das Thema Kauf von Hardware wird größtenteils darüber abgedeckt. Von daher gibt es da jetzt keine Bedenken, dass wir die nächste Zeit irgendwie nicht gut zurechtkommen. Wenn die jetzt noch mal über einen SPAC eine Menge raisen, muss das Geld auch erstmal schnell und sinnvoll deployen.
Und wir sehen halt gerade bei Bird und Lime, um jetzt bei den Beispielen zu bleiben, dass sie in den USA natürlich sehr aktive Marktführer sind. Und auch schon in Europa viel unterwegs sind. Die Frage ist: Würdest du eher in einen neuen mode investieren? Würdest du eher in die Expansion investieren? Würdest du in M&A investieren und so weiter? Wir schauen uns das an, ich schaue mir das persönlich an, aber es ist jetzt keiner hier, der es irgendwie mit der Angst zu tun bekäme.
„Ich glaube, wenn man sich die Riege der Investoren anschaut, mit denen wir dort zusammenarbeiten, lehnt man sich nicht zu sehr aus dem Fenster, wenn man sagt, dass natürlich auch ein VC irgendwann seinen Exit haben möchte. Das ist part of the game.“
Schahab Hosseiny: Keine kalten Füße, aber Du schaust Dir die Börsenprospekte noch an, klar. Sprechen wir noch ein bisschen weiter über den Wettbewerb. Helbiz möchte stärker in das Segment Food Delivery investieren. Wir sind gerade in Berlin und total in einem food delivery war, wenn man so möchte. Wie stehst Du denn grundsätzlich zu dem Thema Food-Delivery-Markt und einem etwaigen Einstieg von Wettbewerbern in dieses Segment, die häufig auch große Schwierigkeiten haben, die letzte Meile zu dominieren? Ist das ein relevantes Diversifikationsspiel? Und kannst Du Dir vorstellen, dass Ihr perspektivisch auch verstärkt in das Thema Food Delivery einsteigt?
Philip Reinckens: Ich kann die Theorie dahinter total verstehen, muss ich ganz ehrlich sagen, weil Du als guter Anbieter natürlich eine Menge Assets einfach auf der Straße hast – im Sinne von Personal und Fahrzeugen, die sowieso schon unterwegs sind. Von daher erschließt sich mir die Rationale, die dahinter steckt. Helbiz ist sicherlich ein Beispiel, aber ich glaube, das prominentere Beispiel ist Bolt, die jetzt 600 oder 700 Millionen geraised haben und gleichzeitig im Scooter-Markt aktiv sind, die haben Food Delivery Business, die haben Ride Hailing Business. Und die wollen ein Gorillas-Äquivalent aufbauen.
Die nutzen momentan ihr Scooter-Geschäft primär dazu, um die Akquisitionskosten beispielsweise im Vergleich zu Google zu senken und gehen davon aus, dass es bei den Kunden, die sie innerhalb von kürzester Zeit durch sehr günstige Preise akquiriert haben, eine hohe Überschneidung an Leuten gibt, die dann tatsächlich auch Food bestellen oder sich ihr Essen nach Hause liefern lassen. Ich bin ein bisschen skeptisch, wenn du sagst, im Scooter-Geschäft gehst du mit einem Cent die Minute an den Start – oder 5 Cent die Minute, jetzt haben sie es ein bisschen erhöht – das ist brutal defizitär.
Und dann davon auszugehen, dass du in einen zweiten defizitären Markt reingehst, wo noch ein viel krasserer Wettbewerb herrscht, also jetzt gegen Flink, gegen Gorillas, gegen Getir, gegen DoorDash und so weiter anzustinken. Das ist schon gewagt. Und momentan hat dort auch noch keiner bewiesen, dass da die krassen Margen sind. Ich sehe es aus einer externen Perspektive als eher schwierig an, weil halt einfach keiner der Märkte an sich genommen bisher gezeigt hat, wirklich profitabel zu sein.
Das Äquivalent wäre wahrscheinlich, man würde als Apple ein extrem günstiges Produkt auf den Markt schmeißen, was dann die Jugendlichen cool finden und der erste PC, den sie sich dann kaufen, ein Mac sein wird. Oder das erste Telefon wird ein iPhone sein. Dann würde ich es verstehen, weil dann investierst du um danach letztendlich die Deckungsbeiträge zu bekommen. Aber das sehe ich in dem Modell einfach noch nicht, weswegen ich – wieder aus meiner Perspektive gesprochen – mir das erst mal anschaue und gucke, wie das bei den anderen dort läuft.
Schahab Hosseiny: Bedeutet Deine Hypothese, dass die Customer Lifetime Value durchaus durch die erweiterte Wertschöpfung verlängert wird, aber sie wird defizitär verlängert?
Philip Reinckens: Deine Customer Acquisition Costs sind beim Scooter eventuell sogar ein bisschen geringer, wenn du das mit anderen Möglichkeiten vergleichst, um an Kunden ranzukommen. Aber dann musst du dir halt auch anschauen, dass die Leute, die du da momentan in deinen Funnel bekommst und die auf deiner App sind, tatsächlich auch die Kunden sind, die dann das Essen bestellen. Also wenn ich schaue, wer momentan für einen Cent auf dem Bolt Scooter rumfährt, dann würde ich sagen, ist die Wahrscheinlichkeit nicht so groß, denn das sind viele, viele Jugendliche, also viele sehr junge Fahrer.
Schahab Hosseiny: Das heißt der Case geht für Dich – zumindest gedanklich – gar nicht auf.
Philip Reinckens: Ich finde den Case interessant. Ich habe da momentan noch so ein bisschen meine Probleme zu sehen, dass das wirklich ultra sinnvoll ist. Aber auf der anderen Seite: Respekt auch an den Wettbewerber. Ich meine, die 600, 700 Millionen muss man erst mal raisen. Die VCs, die da im Hintergrund stehen, die haben sich sicherlich den Case auch angeschaut. Und da gibt es viele smarte Leute, die sagen, hey, irgendwie glauben wir schon da dran. Von daher will ich das auch überhaupt nicht abtun.
Gibt es Brand Loyalty im E-Scooter Segment?
Schahab Hosseiny: Jetzt haben wir sehr, sehr viel über den Wettbewerb gesprochen. Sprechen wir mal so ein bisschen über Brand Loyalty. Die Markteintrittsbarrieren für den E-Scooter-Markt sind ja aktuell noch gering, zumindest nach meiner Wahrnehmung. Wie wir zum Beispiel auch anhand von BOAZ Bikes aus den USA sehen, die es über Fundraising zumindest geschafft haben, eine gewisse Visibilität aufzubauen. Natürlich noch weit, weit entfernt von den großen Playern.
Wie stehst du generell zum Thema Brand Loyalty? Bin ich als Nutzer gewillt ein TIER Bike zu nehmen, wenn auch ein Lime Bike nebenan steht? Wie schafft Ihr es, eine Brand Loyalty aufzubauen? Oder seid Ihr am Ende einfach einem massiven Wettbewerbsdruck, der vor allem darauf basiert, wer die kostengünstigsten Rides anbietet, unterworfen? Wie versucht Ihr das Thema für euch zu cracken?
Philip Reinckens: Was wir prinzipiell feststellen ist, dass im Vergleich zu anderen Geschäftsmodellen die Loyalität der Kunden jetzt eher nicht so hoch ist. Muss man ganz klar sagen. Und aus vielen Gesprächen von Nutzern hört man natürlich immer wieder, ja, man hat viele Apps auf dem Handy. Als Anbieter muss man sich dort natürlich auch entsprechend hervortun, um den Kunden jedes Mal wieder zu überzeugen. Was wir sehen, ist, dass das Thema Verfügbarkeit mehr oder weniger das wichtigste Kriterium ist. Noch vor dem Preis eigentlich. Allerdings natürlich auch nicht für jede Kundengruppe. Für die Kundengruppe, die wir uns anschauen, also ich sage mal – ganz grob gefasst – Young Professionals, steht Verfügbarkeit an erster Stelle, weil es einfach darum geht, maximal schnell komfortabel von A nach B zu kommen. Wenn man das mit anderen Möglichkeiten wie Carsharing oder so vergleicht, da beispielsweise die Parkplatzsuche wegfällt. Und man entsprechend, auch wenn die Höchstgeschwindigkeit nicht so hoch ist, beim Thema Parken einfach spart.
Auf der anderen Seite, bei einer Kundengruppe wie eben von Bolt angesprochen, ist da sicherlich das Thema Verfügbarkeit nicht super relevant, sondern eher der Preis, weil es dann vermehrt um Fun Rides geht. Ich war jetzt neulich im Gleisdreieck Park, da sieht man halt viele Jugendliche, die da mit den diversen Scootern Spaß haben. Wir entscheiden uns bewusst dafür, eher das Young Professional Segment anzugehen, mit einer klaren Botschaft, mit einem klaren Branding. Wir sagen, wir differenzieren uns primär über unseren Sustainability Gedanken. Das heißt, bei uns ist jede Fahrt komplett CO2 neutral. Das, was wir selber an an Emissionen nicht verhindern können bzw. das, was durch die Produktion entsteht, wird ge-offsetted. Und wir glauben, dass unser Segment auch Wert darauf legt.
„Was wir prinzipiell feststellen ist, dass im Vergleich zu anderen Geschäftsmodellen die Loyalität der Kunden jetzt eher nicht so hoch ist.“
Das zweite ist, dass wir uns natürlich auch über die Hardware differenzieren. So haben wir beispielsweise einen Handyhalter mit Ladefunktion. Wir haben in vielen Städten Helme integriert, wir haben integrierte Blinker, wir haben den robustesten, komfortabelsten Scooter, der am besten beschleunigt. Also du merkst schon viele Unterschiede, wenn du sie alle mal Probe fährst. Und das ist den Kunden dann tatsächlich auch was wert. Aber man muss halt immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen, dass man die Verfügbarkeit auch bieten kann. Dann nutzen die Kunden unseren Scooter.
Wenn du die Verfügbarkeit nicht bietest, dann fallen die eben beschriebenen Werte sehr schnell zurück, weil einfach dann der Komfort Gedanke im Vordergrund steht und man sagt, naja, 200 Meter weiter zum zum TIER Scooter zu laufen vs. den 20 Meter entfernten Scooter von Bird – diesen Trade-off machen wahrscheinlich wenige Leute.
Schahab Hosseiny: Das heißt, Du sagst, Verfügbarkeit schlägt definitiv auch Brand Loyalty.
Philip Reinckens: Verfügbarkeit schlägt in der Regel auch Brand Loyalty, wobei Brand Loyalty, wenn du sie einmal aufgebaut hast, ein zweiter sehr wichtiger Faktor ist.
Schahab Hosseiny möchte wissen, wie TIER Mobility es schafft, Brand Loyalty aufzubauen, gerade wenn der Service über Partner-Plattformen angeboten wird. Philip Reinckens hebt hervor, dass das native Pay-as-you-go-Geschäft nach wie vor den meisten Umsatz bringt. Er spricht über die Herausforderung, den Kunden zur eigenen App zu leiten und dort zu halten. Philip Reinckens erklärt anhand der TIER-for-Business-Idee, wie man an weiteren Lösungen arbeitet. Spielt Werbung eine große Rolle? Obwohl es eine Kooperation mit Audi in Ingolstadt gab, lässt man sich bei TIER Mobility alle Optionen für dieses Segment offen. Philip Reinckens spricht über weitere mögliche Revenue Streams und das Ziel, die Städte zu “ownen”.
Verdrängungswettbewerb und die Rolle der Städte
Schahab Hosseiny: Sehr gut. Du hast gerade angesprochen, Städte zu ownen. Wie brutal ist der Verdrängungswettbewerb in dieser Branche? Empfindest Du das schon als sehr, sehr starken Verdrängungswettbewerb, dem Ihr auch unterlegen seid? Wobei Ihr da ja als europäischer Marktführer sehr gut mitmischt. Oder sagst Du, eigentlich läuft das noch ganz, ganz gesittet ab?
Philip Reinckens: Man muss sich noch mal zurückversetzen. 2019, als wir angefangen haben, sind wir mit einem Zehntel des aufgenommen Kapitals im Vergleich zu einem Bird und Lime gestartet und haben es geschafft, aus dieser verhältnismäßig kleinen Summe dann doch in in Europa Marktführer zu werden.
Schahab Hosseiny: Wie habt ihr es geschafft? Was war die secret sauce?
Philip Reinckens: Die secret sauce setzt sich aus vielen Dingen zusammen. Ich glaube, das erste ist, du musst natürlich die Märkte verstehen, du musst vor Ort sein. Es ist ganz schwierig, aus Kalifornien heraus zu verstehen, wie beispielsweise in Bochum der Bürgermeister tickt oder welche Städte in Deutschland wann wie gelauncht werden. Oder das Thema Arbeitsbedingungen. Und solche Punkte haben wir einfach von Anfang an gut einschätzen können.
Schahab Hosseiny: Ist das die Achillesferse gewesen? Also sagst Du wirklich, durch diese kulturellen Unterschiede mit einer Grund Arroganz aus den Staaten kannst du in Deutschland nicht einfach mit dem selben role model erfolgreich werden?
Philip Reinckens: Der deutsche Markt tickt einfach so, dass extrem viel über die Städte laufen muss. Wir hatten vorhin darüber gesprochen, oh!bike, Mobike, das war so ein Schlüsselmoment für die deutsche Verwaltung. Wo sie alle plötzlich überrannt wurden von 4000 Fahrrädern in München, die in den Bäumen gelandet sind, die in der Isar landeten. Die Städte waren einfach für ein paar Monate lang komplett machtlos. Und aus dem haben sie einfach wahnsinnig viel gezogen und waren entsprechend skeptisch, was die E-Scooter angeht.
Und dort den Städten einen Partner zu bieten, der wirklich vor Ort ist, der bei jedem kleinen Problem, das auftritt, diskussionsbereit ist, offen ist, ich glaube, dass ist eine Marktgegebenheit, die man hier einfach beachten und die man verstehen muss. Und ich glaube, ausländische Wettbewerber haben das teilweise nicht so ernst genommen, kann man vielleicht sagen. Das ist das erste.
Das zweite ist, einen Willen und auch eine Geschwindigkeit zu haben, um Veränderung und Verbesserung auf die Straße zu bringen. Bestes Beispiel: Swappable batteries, die austauschbaren Akkus. Da waren wir Anfang 2020 die ersten, die flächendeckend die swappable batteries ausgerollt haben. Und nicht, dass das die anderen vielleicht nicht gekonnt hätten, aber ich glaube, mit dieser Stringenz, mit diesem Willen, das so schnell in die Fläche zu bekommen, hat es kein anderer gemacht. Man muss natürlich auch sagen, immer wenn man neue Innovationen auf die Straße bringt, muss man sich auch drum kümmern, wie die Nachteile kompensiert werden können.
Also beispielsweise bei den swappable batteries senkst du deine Kosten um einen signifikanten Anteil, hast aber auf der anderen Seite – top line seitig – den Nachteil, dass die Scooter nicht mehr so gut stehen. Du musst dir dann überlegen, wie du das kompensieren kannst. Diese beiden Faktoren haben dazu beigetragen, dass wir ganz gut unterwegs sind.
Schahab Hosseiny: Du hast gerade die Städte angesprochen, Philip. Auf der bundespolitischen Ebene lässt sich da nicht so viel drehen, weil die Städte entsprechend große Freiheiten haben. Betreibt Ihr wirklich people business? Du hast gerade gesagt, in Deutschland ist es halt eben auch wichtig, einen Connect zum Bürgermeister aufzubauen, um dann wirklich die Scooter aufstellen zu dürfen. Meine Frage ist: People Business? Wie steuert Ihr politische Aktivitäten bei Euch im Haus? Kann man schon sagen, Ihr macht gewissermaßen politische Lobbyarbeit?
Philip Reinckens: Politische Lobbyarbeit ist vielleicht ein sehr großes Wort. Aber es ist, wie Du gesagt hast, ein People Business. Es ist ein sehr lokales Business. Es ist ein extrem heterogenes Business. Das, was in Münster gilt, kann in Kassel, kann in Hamburg, kann in München wieder komplett anders sein. Und von der Steuerung her muss man halt gewillt sein, erst mal in die Ressourcen zu investieren und eine Organisation mit den entsprechenden Kompetenzen aufzubauen.
In der Steuerung muss es auch extrem hoch als Prio verstanden und aufgehängt werden. Und entsprechend muss auch der Wille da sein, an runden Tischen, am Austausch mit der Stadt teilzunehmen. Das muss absolut top priorisiert werden. Auf der Bundesebene muss man jetzt einfach mal schauen, wie sich gerade in der Regierungsbildung und danach im politischen Alltag die Situation ändert. Ich bin ehrlicherweise ganz guter Dinge und alles andere schauen wir mal.
„Das, was in Münster gilt, kann in Kassel, kann in Hamburg, kann in München wieder komplett anders sein.“
Schahab Hosseiny: Die Machtverhältnisse verändern sich. Ich glaube auch eher zu Euren Gunsten. Sprechen wir jetzt mal über Softbank. Mittlerweile ist ja Softbank über seinen Vision Fund 2 bei Euch investiert. Darüber hinaus habt ihr Euer Management durch ehemalige Manager seitens Tesla und Lyft, etc. noch weiter gestärkt. Was macht das eigentlich konkret in diesem hohen Tempo der Professionalisierung mit der Organisation? Was passiert da unternehmenskulturell? Vielleicht kannst Du uns da ein bisschen abholen.
Philip Reinckens: Wir waren von Anfang an extrem dezentral und extrem digital aufgestellt. Das heißt, Corona hat uns beispielsweise kaum aus der Bahn geworfen, zumindest was die Arbeitsprozesse angeht. Und um Dir ein Beispiel zu geben: Im letzten Jahr sind wir nochmal – was die Anzahl der Städte angeht – 80 Prozent gewachsen, was die Flotte angeht haben uns verdoppelt. Da kann man jetzt nicht sagen, nur weil wir mehr Leute haben, werden dann auch automatisch die Prozesse langsamer oder wir werden weniger performant. Also das sieht man an den Zahlen nicht.
Wir wachsen de facto immer noch mit 2 X pro Jahr weiter, was sehr schön ist. Von der Kultur fängt man im Recruiting an, auf den Purpose zu achten. Ich glaube, das ist bei uns extrem ausschlaggebend, dass die Leute, die bei uns anfangen, wirklich alle gewillt sind, für das Gleiche zu kämpfen und mit der gleichen Motivation ins Büro zu gehen. Letztendlich eben wissen, warum sie das Ganze machen. Das ist jetzt nicht nur ein Nine-to-five-Job, wo am Ende des Monats Kohle aufs Konto kommt, sondern da steckt sehr viel mehr dahinter. Und allein das ist ein verbindendes Element, das dazu führt, dass wir einfach sehr gut miteinander funktionieren. Dann wird auch die berühmte Extrameile durchaus gerne gegangen.
Schahab Hosseiny: Wie schafft Ihr das, dieses Mindset aufrechtzuerhalten? Ich meine, Euch gibt es ja jetzt auch schon ein paar paar Jährchen – drei Jahre. Wie schafft Ihr es, trotzdem so schnell zu agieren und wie ein junges Startup links zu überholen. Wie bindet Ihr Eure Mitarbeiter? Habt Ihr ESOP-Anteile? Wie sind die Mitarbeiterbindungsprogramme bei Euch?
Philip Reinckens: Wir haben in der Tat einen ESOP für fast alle Mitarbeiter, also ausgenommen eine kleine Berufsgruppe. Aber das allein ist schon mal für die allermeisten MitarbeiterInnen eine wahnsinnige Ehre auf der einen Seite, und andererseits natürlich auch Motivation, längerfristig an dem Erfolg der Firma mitzuarbeiten. Darüber hinaus gibt es die, ich sage mal, “klassischen” Incentivierungsmaßnahmen und Programme, die ein Berliner Startup so hat. Aber es ist halt definitiv nicht der Aspekt der Kohle, der im Vordergrund steht, sondern insbesondere der eben angedeutete Purpose.
Ansonsten ist die Herausforderung, die Kultur, die sich teilweise im Berliner Office auch sehr gut transferieren lässt und gut erlebbar ist, auch ins Warehouse in die Kleinstadt zu holen. Und da gibt es einfach gewisse Maßnahmen, die uns sehr am Herzen liegen. Zum Beispiel, wie wir eine Warehouse-Ausstattung machen oder welche Incentives die Fahrer bei uns bekommen. Sei es jetzt irgendwie eine Sofaecke, freier Kaffee, freies Wasser usw. oder auch regelmäßig Grillfeste, um da einfach eine Gemeinschaftlichkeit zu bieten, um die Leute langfristig zu binden.
Gerade in dem Segment der Fahrer ist natürlich auch gerade jetzt in diesem Jahr ein totaler Wettbewerb ausgebrochen und wir müssen extrem aufpassen. Und ansonsten eine Steuerung, die einfach sehr fokussiert auf die Region ist und weniger durch die Zentrale gesteuert wird, die auf die lokalen Marktbedingungen jeder Region einfach am besten eingehen kann. Und das funktioniert ganz gut.
Schahab Hosseiny: Das ist sehr fragmentierter Markt, weil Du gerade gesagt hast, die regionalen Unterschiede sind sehr relevant. Das stelle ich mir in der Steuerung durch diese Fragmentierung auch hochkomplex vor. Würdest du das so unterstreichen?
Philip Reinckens: Ja, wobei du natürlich in der Steuerung extrem viel standardisieren kannst. Also wir haben superzentrale Funktionen, die uns systemseitig extrem entlasten und im Hintergrund mit Auswertungen, mit Empfehlungen weiterhelfen. Wir haben einen exzellenten Austausch was Workshops angeht. Lernen voneinander, best practices sharing zwischen den unterschiedlichen Märkten. Wieder, wir sind von Anfang an eine digitale Firma gewesen und entsprechend ist auch das Onboarding für neue Mitarbeiter sehr effizient, sehr schnell. Du kriegst einen Laptop, du kriegst deine Zugänge und hast dann Zugriff auf alles. Es ist einfach nur eine Frage der Zeit, bis du das verinnerlicht hast. Und das macht es in vielerlei Hinsicht extrem einfach.
Schahab Hosseiny: Du hast gerade angesprochen, dass Ihr eine digitale Company seid. Software oder Hardware? Was seid ihr am Ende?
Philip Reinckens: Wir machen beides. Das kannst du gar nicht voneinander trennen, weil wir unsere unsere Hardware nicht ohne die Software operieren können. Letztendlich müssen wir eine kundenzentrierte Firma sein. Letztendlich müssen wir Verfügbarkeit bieten. Letztendlich muss der Kunde jedes mal, wenn er vom Scooter absteigt, das Gefühl haben “Das hat jetzt Bock gemacht. Das hat mich komfortabel und schnell von A nach B gebracht”. Und letztendlich ist auch einer Mission gedient, nämlich die Stadt autofrei zu machen. Und da braucht man einfach Alternativen für.
Schahab Hosseiny: Wenn man sich Börsenprospekte anschaut, sehen sich die Wettbewerber tatsächlich auch eher als Software-Company. Nachvollziehbar, wie Du es dargestellt hast. Philip, Blick nach vorne. Ein bisschen Glaskugel: Was können wir in naher Zukunft noch von TIER Mobility erwarten?
Philip Reinckens: Also du wirst noch eine Menge von uns hören. Ich glaube, so viel sei erstmal gesagt. Wir sind aktuell auf einem sehr guten Weg. Wir merken, dass die langfristigen Investments, die wir getätigt haben, anfangen Früchte zu tragen. Dass die Ideen, die Differenzierungen, die wir früh angestoßen haben – wie ein TIER Energy Network – dass die teilweise vom Markt auch kopiert werden. Wir sehen, dass sich Investments in die Zusammenarbeit mit den Städten – siehe Paris, siehe London, wo wir die Ausschreibungen in den größten europäischen Städten gewonnen haben – einfach langfristig auszahlen.
Und in Summe bin ich da echt echt sehr froh, dass, vom Management angefangen bis runter zu den Fahrern in den Warehouses der Städte, dort ein Zusammenhalt und eine gemeinsame Vision herrscht, die es ermöglicht, auch die nächsten nächsten Jahre weiterhin erfolgreich zu sein. Ich freue mich auf das, was kommt. Es gibt viele Chancen, die auf dem Weg liegen, und ich bin sicher, dass wir die richtigen Schritte gehen werden.
„Wir merken, dass die langfristigen Investments, die wir getätigt haben, anfangen Früchte zu tragen.“
Schahab Hosseiny: Tolle Wachstums-Opportunities jedenfalls. Du hast gerade das Thema Vision angesprochen. Was ist nochmal abschließend Eure Vision? Das Thema, was mich als Mitarbeiter vielleicht auch elektrifiziert und intrinsische Motivation auslöst. Was wollt Ihr, was ist Eure Vision?
Philip Reinckens: Die Vision ist: Change Mobility for Good! Also auf Deutsch, die Mobilität in der Stadt hin zum Guten zu verändern. Das hin zum Guten, kann man, glaube ich, ganz plastisch am Beispiel von Paris klarmachen, wo sich vor drei, vier Jahren noch der Verkehr komplett durch die Stadt gezogen hat. Mittlerweile siehst du an vielen Ecken, dass Straßen freigemacht werden für Fahrradwege, für Fußgängerwege. Dass es eine intelligente Verkehrsplanung gibt. Dass immer mehr Grünflächen entstehen, dass immer mehr Mikromobilitätsangebote gefördert werden, dass die Integration in Richtung ÖPNV immer besser funktioniert.
Und ich glaube, so ein Pflänzchen, das langsam immer stärker wird, wollen wir auch in anderen Städten sehen. Und entsprechend arbeiten wir aktiv mit der Stadt zusammen, um das in die Realität zu bringen. Aber es braucht halt immer auch beide Seiten, die anpacken. Die auch bereit sind, dann Maßnahmen zu ergreifen, wie Parkflächen umwidmen und so weiter. Aber das ist eigentlich das, was die Leute hier motiviert. Dass sie sagen, hey, es gibt einen Klimawandel. Es gibt die Möglichkeit, da jetzt einfach irgendwie so weiterzumachen wie bisher oder man verbringt acht Stunden seiner Tageszeit mit einem Thema, bei dem man tatsächlich eine Veränderung in der eigenen Stadt bewirken kann. Was dazu führt, dass die Stadt an sich lebenswerter wird, dass weniger Fahrten mit dem Auto durchgeführt werden und vielleicht irgendwann weniger Autos verkauft werden. Weil halt einfach das Angebot in der Stadt so gut ist und du die Notwendigkeit – vom Urlaub vielleicht mal abgesehen – nicht mehr hast, ein eigenes Auto zu nutzen. Das treibt sehr viel an. Das finde ich extrem bewundernswert in dieser Firma und dann lohnt es sich, dafür aufzustehen.
Schahab Hosseiny: Das ist eine tolle ideologische Vision. Finde ich sehr gut. Wie intensiv nutzt Du selber TIER? Du kommst ja aus München, hast Du erzählt. Wie häufig nutzt du die E-Scooter oder Fahrräder? Wie aktiv bist du selber?
Philip Reinckens: Fahrräder haben wir leider in München noch nicht. Wir haben das Glück, Mopeds und Scooter in München zu haben, und ich nutze die mehrfach täglich. Ich werde ehrlicherweise nicht müde und es ist für mich, gerade wenn das Wetter schön ist, einfach die angenehmste und – je nach Strecke natürlich – die effizienteste Art, um von A nach B zu kommen.
Schahab Hosseiny: Philip, vielen herzlichen Dank für das sehr kurzweilige, schöne Gespräch. Ich habe jede Menge lernen können und ich hoffe, unsere Audience auch. Und damit beenden wir ja auch heute das Gespräch. Und nochmal herzlichen Dank von unserer Seite aus.
Philip Reinckens: Danke auch an Euch.
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