Mit Jan Müller, Sector Lead Performance bei Snap, hat Mario Rose in einem launigen OMKB-Talk darüber gesprochen, wie sich das digitale Marketing auf Snapchat bis heute entwickelt hat, was Snapchat wirklich von anderen Plattformen abgrenzt und warum die Features einen ganz besonderen Wert für Werbetreibende haben. Außerdem wagen sie gemeinsam einen Blick in die Zukunft der User-Erlebnisse, an deren Entwicklung Snapchat zurzeit arbeitet.
Podcast mit Jan Müller über die Social Media App Snapchat
Snapchats Weg auf den deutschen Markt
Mario Rose: Jan Müller ist bei uns zu Gast. Jan ist Sector Lead Performance bei Snap Inc. Hallo Jan und herzlich willkommen bei uns im Studio. Schön, dass du da bist.
Jan Müller: Danke, dass ich hier sein darf.
Mario Rose: Dann lass uns doch über die eigentlichen Inhalte des heutigen Talks sprechen. Du warst bei der Boston Consulting Group, dann warst du vier Jahre lang bei Google und dann bist du 2017 bei Snapchat an den Start gegangen. Ich darf das digitale Marketing Business auch schon seit ein paar Jahren begleiten und kann mich erinnern, dass der erste große Hype um Snapchat 2014 oder 2015 stattgefunden hat. Da wurde das auch in meiner Bubble sehr aktiv genutzt. Du bist „erst“ einige Jahre nach diesem ersten Hype eingestiegen. Aus welchen Gründen bist du 2017 von Google zu Snap gegangen?
Jan Müller: Da würde ich gerne zwei Sachen unabhängig voneinander betrachten: Zum einen war das zwar der erste Hype, aber die Anziehungskraft, die Snapchat auf mich hatte, hat nicht abgerissen. Während ich bei Google gearbeitet habe, habe ich dieses Thema wahrgenommen und mich mit der App auseinandergesetzt. Außerdem gab es zu dieser Zeit gar nicht die Möglichkeit, zu Snap zu gehen, weil es noch kein Advertising Business gab – schon gar nicht in Deutschland.
Gleichzeitig war ich sehr zufrieden bei Google. Und zu dem Zeitpunkt, an dem ich so zufrieden mit meiner Karriere war wie nie zuvor, kam Snapchat mit der Möglichkeit auf mich zu, der zweite Account Executive und Teil des Launch Teams im deutschen Markt zu sein. Und da habe ich erkannt, dass ich nicht nur mit einer spannenden Firma zusammenarbeiten, sondern auch meinen Marktwert aufbauen könnte.
Man kann vieles machen, wenn man bei Google arbeitet. Aber neue Märkte aufzubauen, ist seit 2015 sicher nicht mehr möglich. Vielleicht noch in Papua-Neuguinea, aber nicht in Deutschland. Die alten Google-Mitarbeitenden haben immer so ein Strahlen in den Augen gehabt, wenn sie davon erzählt haben, wie alles am Anfang war, und ich wollte auch so einen Anfang miterleben, insbesondere bei einer App, die ich selber interessant fand.
„Am Anfang war es also ein bisschen wie im wilden Westen.“
Mario Rose: Das kann ich sehr gut verstehen. Du scheinst heute auch zu strahlen, insofern scheint das ein guter Schritt gewesen zu sein. Vier Jahre in einem Social Media-Ökosystem wie Snapchat sind sicherlich eine spannende Reise gewesen. Wie haben sich denn deine Arbeitsschwerpunkte seit 2017 verändert?
Jan Müller: Zunächst hat sich das Produkt total verändert. Die Fähigkeiten unserer Advertising-Lösungen sind wahnsinnig weiterentwickelt worden – seien es die komplexe Technologie hinter AR oder die Personalisierungs-Möglichkeiten unserer Advertising Suite. Das gilt aber auch für das, was ich tue. Man muss sich vorstellen, dass man zu einer Plattform kommt und erzählt bekommt, dass man jetzt der erste Seller on the Ground in Deutschland ist und Umsatz generieren soll.
Am Anfang war es also ein bisschen wie im wilden Westen und durch den Aufbau des Business haben wir da nach und nach eine Struktur reingebracht. Dann konnten wir uns auch auf Sachen konzentrieren, die uns am Herzen lagen. Bei Google war ich eher quantitativ orientiert und deshalb hat mir dann das Performance Marketing Business total zugesagt. Ich habe mich dann auf diese Nische konzentriert, die auch einen großen Teil unseres Umsatzes ausmacht.
Jan Müller über Snapchat – Das Video
Snapchat: eine App wie keine andere
Mario Rose: Gehen wir jetzt auf Snap oder Snapchat ein – den Erfinder der Story-Formate, die uns nach wie vor überall begegnen. Die App ist im Advertising aber je nach Altersgruppe sicher nicht im primären Relevanz-Set. Da kommen einem erst andere Apps in den Sinn, auf die wir heute vielleicht auch noch eingehen werden.
Bei Snap geht es aber weiterhin darum, sich über die Kamera (mit Bildern, aber auch mit Videos) auszudrücken – insbesondere gegenüber den eigenen Freunden. Das ist ja teilweise auch einzigartig geworden, weil die eigene Peergroup bei anderen Social Media Networks immer weiter in den Hintergrund zu rücken scheint. Ganz provokativ gefragt: Wofür benötige ich Anfang 2022 Snapchat überhaupt noch? Was euch damals als Pioniere ausgemacht hat, finde ich heute in einer Vielzahl von Apps. Warum sollte ich Snapchat auf meinem Smartphone haben?
Jan Müller: Das ist eine berechtigte Frage, aber du hast die Antwort schon vorweggenommen: Weil sich Social Media Networks nicht nur über die Features definieren, sondern über das soziale Momentum. Snapchat benutzt man für die Freunde. Das ist die Plattform, auf der man eingeladen wird, sich direkt mit den Freunden auszutauschen und mit ihnen Spaß zu haben. Das Feature Stories lässt sich übertragen, es wird in einem anderen sozialen Netzwerk aber ganz anders genutzt.
Bei uns geht es darum, die besten Freunde auf dem Laufenden zu halten und Momente festzuhalten, die weniger ins rechte Licht gerückt sind, sondern die das echte Leben schreibt. Das gleiche Feature kann in einem anderen Kontext auf einer Plattform vielleicht eher dafür verwendet werden, meine Schokoladenseite zu zeigen.
Mario Rose: Das ist durchaus eine vielschichtige Antwort. Dabei geht es unter anderem darum, wie man mit sozialen Netzwerken umgeht, was man von sich zeigt, ob man sich in Drucksituationen hineinbewegen möchte, weil man Likes braucht oder ein Produkt platziert oder ob man einfach seine Freunde daran teilhaben lässt, wenn man gerade im Fußballstadion sitzt.
Eure etwas andere Herangehensweise zeigt sich auch dadurch, wie ich mich in eure App hineinbewege. Auch im Business-Kontext kenne ich es eigentlich nur noch so, dass ich mich in einem algorithmisch gesteuerten Feed bewege, in dem ich immer wieder Content bekomme und deshalb dabeibleibe. Wenn ich in eure App hineingehe, sehe ich keinen Feed, sondern erstmal die Kamera. Die geht sofort auf und will meine Situation im Hier und Jetzt aufnehmen. Warum ist das weiterhin ein Key Feature? Warum ist das zentral, um Snapchat zu verstehen?
Jan Müller: Du hast es genau richtig dargestellt. Snapchat soll nicht nur eine weitere Plattform sein, die dazu einlädt, nur den nächsten algorithmisierten Feed zu konsumieren, um gar nicht zu kreieren oder sich beim Kreieren einer Drucksituation auszusetzen.
- Bei uns gibt es keine Likes,
- bei uns kann man die Follower-Anzahl nicht herausfinden,
- bei uns gibt es keine öffentlichen Kommentare.
- Und damit gibt es nicht dieses Framework, das mir das Gefühl gibt, mich einer bestimmten Sorte von Inhalten beugen zu müssen.
Dadurch, dass die Plattform den User nicht zum Konsumieren eines Feeds einlädt, sondern die Kamera präsentiert, ist das eine sehr subtile Aufforderung, selber etwas zu kreieren und das Hier und Jetzt festzuhalten, ohne sich davon beeinflussen zu lassen, was andere gerade spannend finden.
„Bei uns geht es darum, die besten Freunde darüber auf dem Laufenden zu halten und Momente festzuhalten, die weniger ins rechte Licht gerückt sind, sondern die das echte Leben schreibt.“
Vielfältige Interaktions-Möglichkeiten durch eine Vielzahl an Features
Mario Rose: Das ist sehr interessant. Die User in anderen sozialen Netzwerken agieren sehr passiv, weil sie sich gar nicht trauen, sich in diese Content-Sphären zu begeben. Das ist bei euch anders und ihr habt neben der Kamera jetzt viele andere Inhalte, die das App-Erlebnis komplementieren oder erweitern. Es gibt zum Beispiel die Snap Map, den Chat-Bereich, natürlich Stories und auch Spotlight. Wo ist dabei die Nutzungsintensität am höchsten? Was ist eher eine Spielwiese, auf der ihr gerade an Dynamik zunehmt? Was kannst du uns im Hinblick auf die Nutzungsschwerpunkte der Snapchat-App berichten?
Jan Müller: Die Antwort unterscheidet sich von einem bestimmten User über einen bestimmten Markt zum globalen Markt. Auf dem deutschen Markt sind die Stories von Freunden und der Chat, die am häufigsten genutzten Features. Den Chat nennen wir intern das Core Product Value. Ob wir als soziales Medium reüssieren, hängt davon ab, ob wir die User mit ihren besten Freunden zusammenbringen können und dass sie mit ihren besten Freunden über den Chat Spaß haben.
Alles andere sind Add-ons, mit denen man unsere Kernwerte erleben kann: im Hier und Jetzt zu leben, miteinander Spaß zu haben, sich auszudrücken und vielleicht auch etwas über die Welt oder die eigenen Freunde zu lernen. Alles andere baut darauf auf.
Man kann dann zum Beispiel mit einer Story nicht mit einer einzelnen Person sprechen, sondern allen Freunden mitteilen, wo man gerade ist und was man gerade tut. Der Chat über die Kamera ist der Kern, auf dem alles andere aufbaut. Der Austausch durch bild- und videobasierte Kommunikation ist das Wichtigste, welches dann durch Textkommunikation angereichert wird. Das ist die Basis für Stories oder auch Spotlight. Da verwendet man dann die Bilder, die man so gut findet, dass man sie über die eigene Peergroup hinaus auch anderen Leuten zeigen möchte.
Snap Map wiederum ist etwas experimentell, das ist die soziale Form von Google Maps. Wenn meine Freunde ihren Standort mit mir teilen, kann ich auf Snap Map sehen, was sie gerade machen und wo sie sich befinden. Ich kann aber auch sehen, welche Bilder und Videos gerade rund um den Eiffelturm oder in Mekka geteilt werden. Dadurch fühlt man sich der Welt sehr nahe. Letztes Jahr hatte ich während des Lockdowns eine Knie-OP. Ich war also gänzlich immobil und hatte trotzdem das Gefühl, virtuell reisen und sehen zu können, was alles auf der Welt passiert.
Was Snapchat Advertisern bietet
Mario Rose: Das klingt nach sehr viel Inspiration. Ich wette, eure Download-Zahlen schießen gerade in die Höhe. Du warst bei Baby got Business von Ann-Katrin Schmitz im Gespräch und du hast bei ihr eine steile These aufgestellt. Du hast gesagt: „Wenn ich Inhalte kreiere, die an die Gen Z gerichtet sind, komme ich an Snapchat eigentlich nicht vorbei.“
In dem Zusammenhang interessieren sich natürlich gerade Brands für Reichweiten- und Nutzerzahlen und die klassischen Währungen wie Monthly Active Users, Wachstum der Nutzerzahlen und die Altersgruppen. Hast du ein paar Kennzahlen dafür, wie viele Nutzer man erreichen kann, wenn man sich als Brand in das Snap-Ökosystem bewegen möchte?
Jan Müller: In Deutschland ist unsere Monthly Addressable Reach über 13 Millionen und etwa 80 Prozent davon sind über 18 Jahre alt. Wir erreichen monatlich 80 Prozent der 13- bis 24-jährigen in Deutschland. Auch das Verhältnis von monatlich und täglich aktiven Nutzenden ist ziemlich gut. Es gibt also wenige Nutzende, die die App zwar monatlich, aber dafür nur wenige Male nutzen. Stattdessen ist der größte Teil täglich aktiv, was sich auch dadurch darstellt, wie intensiv die App genutzt wird. Täglich öffnen durchschnittliche Nutzer:innen die App etwa dreißigmal und verwenden sie mehr als 30 Minuten.
Mario Rose: Das sind beeindruckende Kennzahlen.
Jan Müller: Dazu möchte ich noch anmerken, dass sich das auf Deutschland bezieht. Während der Corona-Pandemie haben viele Brands bemerkt, dass sie mit ihrem Online Business auch über die Grenzen von Deutschland hinweg expandieren können. In Frankreich zum Beispiel sind wir die größte Social Media App und in Norwegen haben wir eine Durchdringung des Marktes in Bezug auf alle Smartphone-Nutzenden von 85 Prozent. Es gibt also verschiedene kommerziell relevante Märkte, in denen man sehr viele Leute aus unterschiedlichen Altersgruppen erreichen kann.
Mario Rose: Das wirft die Frage auf, warum Frankreich und Norwegen so eine hohe Snap-Durchdringung haben und Deutschland noch nicht, wobei eine Reichweite von 13 Millionen die meisten Menschen beeindrucken würde. Eure Zielgruppe – also die 18- bis 24-jährigen – ist auch eine Kernzielgruppe auf Instagram, TikTok und YouTube. Gibt es eine Reichweite, die einzigartig für Snapchat ist? Gibt es Personen, die man nur auf Snapchat erreicht?
„Auf den Bildschirmen der Gen Z und der Millennials befindet sich nicht nur ein soziales Medium, sondern es werden verschiedene Social Media Apps für verschiedene Zwecke genutzt.“
Jan Müller: Ja, absolut. Wir haben eine Analyse mit App Annie gemacht, die für eine gegebene Audience betrachtet hat, welcher Prozentsatz unserer User an einem gegebenen Tag Plattform X nicht mehr öffnen wird. Und das ist beeindruckend viel, zum Beispiel werden 56 Prozent unserer User an einem gegebenen Tag TikTok nicht öffnen.
Du hast eben gefragt, warum User Snapchat statt anderer Plattformen nutzen sollten, aber das ist keine Frage des Entweder-oder. Auf den Bildschirmen der Gen Z und der Millennials befindet sich nicht nur ein soziales Medium, sondern es werden verschiedene Social Media Apps für verschiedene Zwecke genutzt. Ich zum Beispiel verwende Instagram, um bestimmten Stars zu folgen, TikTok, um mich bespaßen zu lassen, und Snapchat, um im Hier und Jetzt mit meinen Freunden Spaß zu haben und mich auszutauschen.
Mario Rose: Du hast recht, das ist keine Frage des Entweder-oder. Nichtsdestotrotz ist auch das Thema der Relevanz ganz wichtig, auch in der Beurteilung der Attraktivität für Werbekunden. Du hast bereits die Verweildauer angesprochen, das ist auch eine wichtige Metrik. Ob man bei zwei Minuten liegt oder bei achtzig macht natürlich einen Unterschied.
Lass uns kurz einen Schritt zurückgehen und uns mit eurer Strategie oder strategischen Ausrichtung beschäftigen. Ich habe gelesen, dass eure Kernkompetenz darin besteht, die Interaktionen von echten Freunden ins digitale Leben zu überführen. Du hast gerade dein Knieleiden in Zeiten der Pandemie erwähnt, deshalb stelle ich mir die Frage, ob es so etwas wie einen Back to Snapchat-Effekt aufgrund der Pandemie gibt. Man konnte Interaktionen schließlich nicht so durchführen, wie man sich das gewünscht hat. Ist das etwas, das Snapchat wieder in das Relevanz-Set gerückt hat? Ist das ein massiver Treiber?
Jan Müller: Ja, und wir waren nicht die einzige internetbasierte Plattform, die Nutzende dazu befähigt, aus der Ferne miteinander zu kommunizieren, und die einen Zuwachs an Usern erlebt hat. Interessanterweise war das aber kein Strohfeuer, sondern eine gute Möglichkeit für uns, uns bei verschiedenen Usern wieder ins Relevanz-Set zu bringen, die dann überzeugt waren und geblieben sind.
Denn auch als die Restriktionen gelockert wurden, gab es keinen Dip. Zumindest im letzten Sommer gab es ja kaum Restriktionen, was das Treffen von Freunden angeht und wir haben trotzdem keine User verloren, sondern noch mehr Wachstum generiert. Wie beim E-Commerce auch, glaube ich, dass dieses Pendel niemals vollständig zurückschwingen wird, weil der Convenience-Faktor einfach überzeugt.
Was ist ein Snap Star und wie wird man einer?
Mario Rose: Gehen wir einen Schritt weiter – auch in eurer strategischen Ausrichtung. Wir haben eben über die One-to-One- oder One-to-Many-Kommunikation in den Peergroups gesprochen. Gleichzeitig möchtet ihr euch aber auch hin zu einer Plattform für die Produktion von Inhalten weiterentwickeln.
Wenn wir uns die sozialen Netzwerke anschauen, sind starke Creator für viele ein absolutes Key Feature, bei Spotify sind das zum Beispiel die Podcast-Produzenten. Teilweise definieren diese Plattformen ihren USP auch über diese Exklusivität ihrer Creator oder über bestimmte Sequenzen, die nur auf der jeweiligen Plattform zu finden sind. Bei euch habe ich die sogenannten Snap Stars, die kuratierte Inhalte produzieren. Wie funktioniert das System und wie werde ich ein Snap Star?
Jan Müller: Es gibt zwei Sorten von verifizierten Influencern auf unserer Plattform: Snap Stars sind jene verifizierte Influencer, die vornehmlich Video- und Bildmaterial posten, eine sehr hohe Reichweite haben und vor allem beliebte Inhalte produzieren. Die offiziellen Hürden auf dem Weg zum Snap Star sind gar nicht so groß. Man benötigt mindestens hundert Follower, was durchaus erreichbar ist, und mindestens einen Kontakt mit Mutual Followership, man wird also nicht nur gefolgt, sondern hat Freunde.
Am Ende des Tages geht es aber auch um die Engagement Rates hinter den Videos: Wird ein Großteil der Videos bis zum Ende angeschaut, wird darauf geantwortet? Und diese relativ schaffbaren Metriken qualifizieren schlussendlich nicht nur automatisch zum Snap Star, sondern sie sollen es Influencern mit großen Reichweiten auf anderen Plattformen ermöglichen, auch auf Snapchat große Influencer zu werden.
Mario Rose: Wer sind denn eure bekanntesten Creator?
Jan Müller: Global geht es vor allem um amerikanische und saudische Influencer; Kylie Jenner und Justin Bieber zum Beispiel. In Deutschland sind Lukas Rieger und einige andere, die man vielleicht auch von anderen Plattformen kennt, aktiv. Und das bietet sich auch an, denn für die meisten Influencer ist das Influencen die Haupteinnahmequelle. Und wenn sie ohnehin vertikale Inhalte produzieren, warum dann nicht auch oder hauptsächlich für Snap?
Mario Rose: Über die Relevanz von vertikalen Videos besteht kein Zweifel mehr. Letztendlich ist es aber so, dass viele Influencer oder Creator Instagram Reels und YouTube Vlogs machen, Stories posten, in Feeds aktiv sind, meiner Wahrnehmung nach aber nicht auf Snapchat aktiv sind. Was unternehmt ihr, um die Big Names für Snap gewinnen zu können? Oder ist das gar nicht euer Ziel?
Jan Müller: Mit der Hypothese, dass die nicht auf Snap sind, gehe ich nicht zu 100 Prozent mit. Auf Snap müsstest du deren Username kennen, um sie zu finden. Mit dem Klarnamen funktioniert das gegebenenfalls nicht. Dementsprechend sind die allermeisten auf Snapchat unterwegs, denn deren Inhalte sind ohnehin für Snapchat produziert worden oder werden hier „wiederverwendet“. Das ist eine ökonomisch logische Entscheidung.
Andererseits haben wir für erfolgreiche Posts auf Spotlight wahnsinnig viel Geld an die Creator der beliebtesten Inhalte ausgeschüttet, im ersten Kalenderjahr waren das 250 Millionen Dollar. Es gibt also auch ökonomische Anreize und außerdem können Influencer mit Marken zusammenarbeiten und so ihre große Reichweite nutzen.
„Wenn sie ohnehin vertikale Inhalte produzieren, warum dann nicht auch oder hauptsächlich für Snap?“
Mario Rose: Jetzt haben wir uns zwei ganz essentielle Bereiche angeschaut:
- Auf der einen Seite das Abbilden privater Kommunikation; das ist sehr interaktiv, sehr schnell, sehr ehrlich und findet in der Regel mit Inhalten statt, die man auf anderen Plattformen nicht teilen würde.
- Auf der anderen Seite gibt es aber auch den Story Content von Snap Stars und anderen Personen, die ich nicht kenne. Wo genau ist da euer Fokus?
Wie passen diese beiden Bereich zusammen?
Jan Müller: Ich finde diese auf den Fokus bezogene Frage interessant, denn ich empfinde das vielmehr als Vielseitigkeit und als Stärke, weil das zwei Sachen miteinander kombiniert, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Mit Snapchat wurde eine App geschaffen, die sehr anziehend auf eine bestimmte Audience wirkt und für viele einen Core Product Value bietet.
Und wir haben festgestellt, dass diese Nutzenden die App auch passiv benutzen. Wenn sie in einem Bereich der App mit ihren besten Freunden über Bilder oder den Chat private Informationen ausgetauscht haben, gibt es für sie außerdem die Möglichkeit, sich einfach zurückzulehnen und sich die beliebtesten Inhalte wie in einem vertikalen Fernseher anzuschauen. Wir schaffen also einen weiteren Grund, in der App zu verweilen und Spaß auf unserer Plattform zu haben.
Mario Rose: Stichwort Verweildauer – das ist natürlich ein ganz essentielles Asset. Du hast von 30 Minuten gesprochen, was ja eine ganze Menge ist und womit ihr im App-Durchschnitt deutlich besser performt als andere. Nach eigenen Angaben hat der „Branchen-Primus“ TikTok eine Verweildauer von 80 Minuten. Ist es im Hinblick auf die Aufmerksamkeits-Ökonomie oder auch die Werbekunden wichtig, diese Verweildauer noch weiter nach oben auszubauen?
Jan Müller: Tatsächlich ist die Verweildauer nicht der primäre KPI, denn für uns sind nicht die schieren Minuten sondern die Qualität der Verweilung wichtig. Wenn wir zum Beispiel von Werbeimpressionen reden, hat ein View eine andere Qualität, wenn zehn Sekunden lang ein Bild oder Video angeschaut wird versus, wenn zehn Sekunden lang mit AR interagiert wird, weil man sich dadurch wirklich mit freiwilliger und ungeteilter Aufmerksamkeit in die Brand Experience hineinbegibt.
Die Verweildauer ist also eine wichtige Metrik, in der Hinsicht dass sie auch Rückschlüsse auf das Werbeinventar zulässt. Denn mit unendlich vielen Minuten kann ich den Usern auch unendlich viel Werbung zeigen und deshalb ist das auch relevant für Werbende. Aber am Ende des Tages liegt der Fokus auf der Qualität, weil Werbeinventar bei uns keine Mangelware ist.
Mario Rose: Das glaube ich. Und die Frage für die Werbetreibenden ist natürlich auch, ob sie mit ihrer Zielgruppe zu Beginn einer Session oder nach 28 Minuten in einen Dialog treten.
Jan Müller: Genau. Und dann geht es eben um die Qualität der Impressionen und darum, durch AR oder Filter ein Teil der Brand Experience zu sein und sie hautnah zu erleben. Das kann zum Beispiel dadurch passieren, dass man sich eine Jacke von The North Face mit Hilfe von AR selbst anzieht und sehen kann, ob sie zum eigenen Style passt. Das ist nur noch einen kleinen Schritt davon entfernt, die Jacke tatsächlich in der Hand zu halten und das ist für Werbetreibende fast noch wichtiger.
Privatsphäre als Kernthema auf Snap
Mario Rose: Darauf gehen wir gleich noch einmal ein. Lass uns vorher noch einen Schritt zurückgehen und auf das Thema Likes und Comments eingehen, die es ja auf Snapchat nicht gibt. Meiner Meinung nach ist das eine vorbildliche und extrem positive Haltung, mit der in der Kommunikationswelt junger Leute der Druck rausgenommen wird, damit sie sich im Hinblick auf die Contents freier bewegen und sich in einem sozialen Netzwerk entspannter zeigen können.
Snapchat schafft also einen Safe Space innerhalb der entsprechenden Peergroups. Wenn wir einen Schritt weiter gehen, landen wir auch bei dem Thema Privatsphäre und dem Teilen von Daten für Werbezwecke, auf die Werbetreibende natürlich gerne auf die Zielgruppen untergebrochen Zugriff erhalten möchten. Wie geht ihr mit dem Thema Privatsphäre um und welche Daten erhebt ihr für Werbezwecke?
„Die Privatsphäre steht im Zentrum unseres Handelns.“
Jan Müller: Die Privatsphäre steht im Zentrum unseres Handelns. Das erste Produkt von Snapchat bestand darin, Bilder verschicken zu können, die nach drei Sekunden verschwunden sind – viel mehr Privatsphäre geht nicht. Privacy war also von Anfang an Bestandteil unserer gesamten Arbeit und jedes neue Feature oder Produkt beinhaltet Privatsphäre auf dem höchsten Standard.
Wenn wir Inhalte für Werbezwecke personalisieren, wenn wir Werbung personalisiert ausspielen oder wenn wir das Messen von Werbeeffekten ermöglichen, verwenden wir nur die Daten, die dafür wirklich benötigt werden und außerdem ist unsere Data Retention sehr kurz.
Und die User können sich jederzeit gegen die Personalisierung der Werbung entscheiden. Sie bekommen dann immer noch Werbung, diese wird aber nicht mehr personalisiert. Ebenso können jederzeit alle Daten exportiert und das Profil gelöscht werden. Die User sind in Hinblick auf ihre Daten im Driver Seat und können diese zu 100 Prozent verwalten.
Mario Rose: Kannst du über Opt-in- und Opt-out-Quoten sprechen oder ist das eine vertrauliche Information?
Jan Müller: Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das eine vertrauliche Information ist. Das ist aber auch egal, weil ich diese Quoten nicht im Kopf habe.
Wie Augmented Reality die Werbung verändert
Mario Rose: Wir sind beim Thema Werbung angelangt, das auch eines deiner Kernkompetenzen in der Entwicklung des deutschen Marktes ist. Lass uns eure Werbemöglichkeiten etwas genauer anschauen. Die App bietet ihren Werbekunden viele spannende Features an, die ich in anderen Ökosystemen noch nicht gesehen habe oder die dort keine Rolle spielen.
Du hast AR (Augmented Reality) schon mehrfach erwähnt, was mit zur Kernkompetenz eurer App gehören muss und in dem Bereich gibt es Tools für Marken wie das Virtual Try On in Kombination mit Dynamic Ads. In welche Richtung entwickelt ihr euch dahingehend als Advertising- und Brand-Plattform und welche Features findest du in diesem Bereich besonders spannend?
„Mittlerweile sind wir mit AR und Personalisierungstechnologie in der nächsten Stufe der Evolution angekommen, die sich Video und Image Ads anschließt.“
Jan Müller: Meine Kollegin Denise hat folgende Phrase geprägt: AR entwickelt sich von Toy zu Tool, also von einem Spielzeug zum Werkzeug. Und in der Rückschau empfinde ich das auch so. Als ich zu Snapchat gewechselt habe, war ich begeistert von den Möglichkeiten, die Augmented Reality bietet. Das waren aber vor allem Wow-Effekte, denn der konkrete Nutzen war noch nicht klar.
Man konnte sich zum Beispiel beim Super Bowl das Gatorade-Fass über dem Kopf ausschütten lassen, man konnte sich in Venom verwandeln, man konnte Teil der Westworld werden, indem man seinen Kopf roboterähnlich aufteilen ließ. Das ist lustig und ermöglicht vielleicht, Teil der Brand Experience zu sein. Es ermöglicht aber nicht, ein Produkt wahrzunehmen und zu erleben.
Mittlerweile sind wir mit der AR-Technologie und der Personalisierungstechnologie in der nächsten Stufe der Evolution angekommen, die sich an Video und Image Ads anschließt. Bei textbasierten Ads konnte man lesen, was ein Produkt ausmacht. Anhand von Bildern und Videos konnte das Produkt aus mehreren Winkeln an einer oder mehreren Personen sehen. Mit Hilfe von AR kann man das Produkt jetzt an sich selbst sehen. Man kann sich ein Paar Schuhe auf die Füße projizieren und sehen, wie sie ausschauen und somit eine viel besser informierte Kaufentscheidung treffen. Allein das reduziert die Return-Quoten massiv.
Meine Frau kauft häufig Sachen, die sie dann wieder zurückschickt – nicht, weil sie ihr nicht passen, sondern weil sie findet, dass sie ihr nicht stehen. In dem Zusammenhang denken E-Commerce Player natürlich auch über Returns nach und irgendwann werden wir an den Punkt kommen, wo die Schuhe nicht nur projiziert werden, sondern gleichzeitig die optimale Schuhgröße ermittelt wird.
Mario Rose: Naheliegende Anwendungsfälle dürften im Bereich der Fashion-Industrie liegen. Wenn man als Brand bei euch eine Rolle spielen und AR für Werbezwecke verwenden möchte, erfordert das dann einen langen Onboarding-Prozess?
Jan Müller: Das ist zu Teilen so, aber wir können viel schneller mit Augmented Reality starten, als sich das anhört. Es muss sich auch nicht um eine Try-on-Experience handeln, sondern da gibt es noch viele andere Möglichkeiten: Man könnte zum Beispiel in den neuen Launch von Puma transportiert werden. Und wenn es um das Anprobieren eines bestimmten Produkts geht, werden dafür nur die 3D-Modelle dieses Produktes benötigt.
Hat ein E-Commerce Player aber einen Katalog von 1 Millionen Produkten, bei dem es außerdem eine monatliche Fluktuation von tausenden Produkten gibt, dann wird es natürlich schwieriger, alle diese Produkte zum Try-on zur Verfügung zu stellen. Und an diesem Punkt sind wir noch nicht angekommen. Wir können noch nicht gesamte Produktkataloge in 3D hinterlegen und den Usern zum Beispiel genau die Schuhe zeigen, die für sie am relevantesten sind. Aktuell ist eine Selektion von fünf bis zehn erforderlich, für die wir eine Relevanz für die Audience am wahrscheinlichsten halten.
Mario Rose: Wenn ihr dort noch nicht angekommen seid, ist das dennoch ein deutlicher Fingerzeig in die Richtung, in die technologische Innovationen uns führen können. Sind große Player wie Zalando und ABOUT YOU Early Adopters hinsichtlich der Werbemöglichkeiten auf eurer Plattform? Und sind das gleichzeitig Cases, von denen ihr lernen könnt?
Jan Müller: Ja, absolut.
Mario Rose: Kann Snapchat auch als klassisches Performance Marketing-Instrument eingesetzt werden oder ist das etwas spielerischer? Geht es um Image-Profilierung, Reichweite und Zielgruppenkommunikation oder habt ihr auch Werbekunden, deren Fokus auf CPL und ROAS liegt?
Jan Müller: Das ist tatsächlich alles möglich, aber mein Geschäft konzentriert sich auf Zweiterem. Da geht es um Performance, CPA, CPI und ROI. Und je nachdem, welches Produkt oder welcher Service angeboten wird, sind wir mit allen Kanälen des Paid Social-Bereichs kompetitiv. Seien es Games oder Fashion Advertiser – die investieren sehr hohe Beträge. Es gibt Fashion Advertiser, die pro Quartal siebenstellige Summen auf unserer Plattform ausgeben, weil sie den ROI wahrnehmen. Das würde sich nicht lohnen, wenn die Performance dem nicht entsprechen würde.
Mario Rose: Auch für unsere Audience ist das ganz wichtig, weil in Zeiten steigender ECPMs bei anderen Netzwerken immer ein Blick nach links und rechts erforderlich ist, um zu identifizieren, wie die eigene Zielgruppe noch erreicht werden kann. Ich habe auf Snapchat außerdem das Feature „Profiles for Businesses“ gefunden, das ein bisschen wie Google My Business in Snapform aussieht. Was hat es damit auf sich?
„Es gibt Fashion Advertiser, die pro Quartal siebenstellige Summen auf Snapchat ausgeben.“
Jan Müller: Das Public Profile for Businesses ist quasi die Destination, in der alle Auftritte einer Brand auf Snapchat kombiniert oder zusammengeführt werden. Alle AR-, Image- oder Videoinhalte, die über eine Kampagne hinweg fortbestehen sollen, können dort gespeichert werden und für Follower oder andere Profil-Besucher:innen konsumierbar gemacht werden. Hier können aber auch alle Stories auf der Map hinterlegt werden und ein SMB Business könnte hier auch sein Shopify verknüpfen, damit direkt aus der App im Katalog hinterlegte Produkte gekauft werden können.
Das ist eine ziemlich coole Experience, die wir im Mai 2021 gelauncht haben und die ab Mitte 2022 für alle Advertiser global eine Voraussetzung sein wird, damit sie auf unserer Plattform aktiv sein können. Das lässt sich allerdings auch sehr schnell aufsetzen.
Ein Zukunftsblick durch die Spectacles mit Snapchat
Mario Rose: Ich möchte mit dir noch einen Ausblick in die Zukunft wagen und interessiere mich für das Thema Spectacles. Die sind natürlich mit Snap eng verbunden und als Schnittstelle in der Kommunikation zwischen real und virtuell für euch bestimmt ein imminent wichtiger Markt. Mittlerweile sind die Spectacles 4 verfügbar, aber es scheint nach wie vor noch keine ausgewogene Balance zwischen den Möglichkeiten und der Alltagstauglichkeit der Hardware zu bestehen. Meinst du, dass der große Durchbruch im Bereich AR-Brille und vor allem Spectacles noch kommt? Kommt er vielleicht schon in diesem Jahr?
Jan Müller: In diesem Jahr wird das sicher nicht passieren, denn das ist ein sehr exploratives Business. Wir glauben eher daran, dass wir eine Technologie exploren und betrachten werden, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren essentiell werden wird. Und wenn eine Technologie das Potential hat, in diesem Zeitraum jede und jeden zu betreffen, dann finden wir, dass jetzt darin investiert werden und Erfahrungen damit gesammelt werden müssen, damit wir die Technologie vorantreiben können.
Dieses Jahr wird das aber nicht genügend Mehrwert haben, um für alle attraktiv zu sein. Unabhängig davon, dass ich die Spectacles 4 nicht für die schönste Brille der Welt halte, ist die darin verbaute Technologie der Hammer. Wir haben das bisher aber nur AR-Entwickler:innen zur Verfügung gestellt, die AR kreieren, die man mit diesen Brillen erleben kann. In dem Bereich benötigen wir noch Entwicklungsarbeit.
„Ehrlich gesagt freuen wir uns sogar darüber, dass andere Player das Thema Augmented Reality auch bearbeiten, weil es dadurch noch präsenter wird.“
Mario Rose: Google spielt natürlich auch in dem Markt mit und hat kürzlich neue AR-Brillen angekündigt. Meta hat mit Oculus schon seit Jahren einen Fuß im Bereich AR in der Tür. Auch im Jahr 2021 sollen in Deutschland viele AR-Brillen unter den Weihnachtsbäumen gelegen haben. Positioniert ihr euch auch klar in Richtung AR, auch weil es so stark mit eurer Identität zusammenhängt oder seid ihr auch im experimentellen Stadium im Bereich VR aktiv?
Jan Müller: Meines Wissens nach liegt der Fokus klar auf AR und in diesem Bereich können wir auch den größten technologischen Fortschritt verzeichnen. Ehrlich gesagt freuen wir uns sogar darüber, dass andere Player das Thema auch bearbeiten, weil es dadurch noch präsenter wird. Davon profitieren wir natürlich auch.
Mario Rose: Damit sind wir punktgenau am Ende unseres heutigen Talks angekommen. Es hat mir total viel Spaß gemacht, mich mit dir zu unterhalten. Ich danke dir ganz herzlich, dass du den Weg zu uns gefunden hast.
Jan Müller: Danke.
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