Nachdem auch die Deutsche Bahn während der Coronapandemie gelitten und viele ihrer Fahrgäste zumindest temporär verloren hat, hat sie eine ambitionierte Konzernstrategie für die nächsten Jahrzehnte vorgelegt. Mit „Starke Schiene“ soll die Zahl der Fahrgäste verdoppelt werden, um dem Klimawandel entgegenzuwirken und das wachsende Verkehrsaufkommen auf den Straßen zu vermindern. Auch der Güterverkehr wird subventioniert, um die deutsche und europäische Wirtschaft zu stärken.
In seinem Vortrag auf der OMKB sprach Sven Hasselmann, CMO und Leiter im Online- beziehungsweise Mobile-Vertrieb und Marketing bei der Deutschen Bahn, über die aktuelle Situation des Konzern, ob das Ende der TV-Ära gekommen ist und wie man eine Generation mit Werbung erreichen kann, die sich nahezu ausschließlich mit sozialen Medien beschäftigt.
Svens Vortrag findest du jetzt in unserer Mediathek.
Das Video mit Deutsche-Bahn-CMO Sven Hasselmann
Im Anschluss an seinen interessanten Vortrag, stand Sven Hasselmann dem Publikum und unserem Moderator Schahab Hosseiny in einem Q&A Rede und Antwort. Das Interview gibt es hier:
Zwischen ernst gemeinten und gut gemeinten Botschaften
Mario Rose: Vielen Dank, Sven. Wir haben ein paar Fragen zu einem Thema, das du schon angerissen hast. Du hast bereits viele spannende Attribute der Gen Z aufgeführt und ein wichtiges Attribut liegt darin, dass die Gen Z sehr wohl zwischen ernst gemeinten Botschaften und gut gemeinten, aber schlecht umgesetzten Konzepten unterscheiden kann – Stichwort Greenwashing. Wenn ihr jetzt so mutig vorgeht, könnt ihr auch nachweisen, dass die von euch verbreiteten Botschaften tatsächlich von dieser Generation angenommen und verstanden werden? Oder lauft ihr häufig Gefahr, dass sich diese Zielgruppe eher lustig macht über euch?
Sven Hasselmann: Das ist eine exzellente Frage. Zunächst mal kann nicht jede lustige oder provokante Kommunikation immer gut sein.
„Wir müssen also damit leben, dass einer von zehn Posts eine totale und einer eine mittlere Katastrophe ist.“
Dennoch glauben wir, dass wir damit ankommen, weil wir eine hohe Resonanz und kontroverse Diskussionen sehen. Wir haben auch eine mutige Chefin für den Fernverkehr, die teilweise sehr streitbare Posts freigibt und die Verantwortung dafür übernimmt. Das machen wir jetzt seit Anfang 2022 mit der Unterstützung einer tollen Agentur und sind auf einem sehr guten Weg. Aus dem breit differenzierten Feedback, dass uns erreicht, können wir ableiten, dass wir durchaus gut ankommen.
Deutsche Bahn vs. BVG: Wie man mit dem Klassenbesten mithält
Mario Rose: Die Reaktionsgeschwindigkeit muss natürlich enorm sein und jede neue soziale Netzwerkstruktur erfordert noch schnellere Reaktionszeiten. Um das zu veranschaulichen, muss man nur Facebook mit Instagram und Instagram mit TikTok vergleichen. Wie schafft ihr das? Gibt es noch eine steile Hierarchie und Legacy bei der Deutschen Bahn und ist die in dem Bereich hinderlich? Du hast mit der BVG bereits die Klassenbeste im öffentlichen Personennahverkehr genannt – wie haltet ihr mit? Wie seid ihr aufgestellt und welche Abstimmungsprozesse gibt es bei euch?
Sven Hasselmann: Wir befinden uns in einem Lernprozess und werden immer schneller. Aktuell beobachten wir, dass wir immer erfolgreicher werden und eine immer größere Resonanz erzielen. Wie gesagt erhalten wir teilweise den Segen vom Vorstand und ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere Strategie immer weiter festigen wird.
Schahab Hosseiny: Hat das Implikationen auf den First-Level-Support? Ihr seid auf verschiedenen sozialen Medien aktiv und dort findet unter anderem eine gewisse Sensibilisierung gegenüber eurer Zielgruppe oder zukünftigen Zielgruppen statt. Die nutzen diese Channels auch für den First-Level-Support – das mache ich persönlich auch. Wie geht ihr damit um, dass dieser Anspruch plötzlich eine vollkommen andere Unit tangiert?
Sven Hasselmann: Der First-Level-Support läuft primär über Facebook und das funktioniert bereits ausgezeichnet.
„In unserer Strategie hat jeder Kanal eine klar definierte Aufgabe und dieses Konzept beachten wir sehr genau.“
Jeden Monat haben wir 40 Millionen User und wenn die alle bei uns anrufen, wird das viel zu teuer. Support ist also wichtig und wir müssen die richtige Balance zwischen Support und netten Stories hinbekommen. Bisher läuft das aber einigermaßen gut.
Schahab Hosseiny: Ihr habt also einen Channel-Gedanken, nach dem etwa bei TikTok eher weniger Support läuft. Wenn eine Support-Anfrage kommt, wird die sicherlich weitergeleitet und nicht unbeantwortet gelassen, aber der First-Level-Support findet ganz klar auf Facebook statt.
Zielgruppen ansprechen: Wie Auto-Fans zu Bahn-Fans werden
Mario Rose: Lass uns über die Bahnverweigerer sprechen – also diejenigen, die lange Strecken lieber mit dem Auto oder auch dem Flugzeug zurücklegen. Könnt ihr diese Zielgruppe auch in den jüngeren Generationen identifizieren und beispielsweise über TikTok ansprechen? Oder ist es in diesem Fall sinnvoller, etwa an Tankstellen oder Flughäfen eine Out-of-Home-Kampagne zu lancieren?
Sven Hasselmann: Das ist eine unserer größten Herausforderungen, weil Verweigerer schwer umzustimmen sind. Deshalb haben wir hierfür einen mehrstufigen Prozess. Zunächst schauen wir uns an, um was für eine Zielgruppe es sich hier überhaupt handelt. Dann müssen wir uns entscheiden, welche Kommunikation wir machen, was wahrscheinlich nicht funktionieren wird und wann wir gegebenenfalls aufhören müssen. Natürlich gibt es viele Orte, die nur von Autofahrer:innen besucht werden – deswegen finden wir Out-of-Home sehr gut und das machen wir auch regelmäßig. Das wird aber ein langer und anstrengender Prozess, weil wir nicht nur rational kommunizieren können, sondern auch emotionale Elemente einbinden müssen und wir müssen außerdem ein Belohnungssystem über Social Media aufbauen. Das ist also ein Riesenthema, für das wir keine Patentlösung haben.
„Für die Starke Schiene müssen wir möglichst viele Auto-Fans zu Bahn-Fans machen.“
Schahab Hosseiny: Du hast zudem über Zielgruppen gesprochen, die ihr noch nicht erschlossen habt. Lass uns aber auch über eure Bestandskund:innen sprechen. Ich fahre zum Beispiel sehr gerne Bahn und bin heute mit dem Super-Sparpreis hier angereist. Das war günstig, aber es ist schon ziemlich voll gewesen. Wie geht ihr mit euren Bestandskund:innen um? Erhebt ihr regelmäßig Umfragen? Ich persönlich habe noch nicht erlebt, dass die Bahn nach meiner Meinung oder User Experience gefragt hat. Deswegen würde mich interessieren, welche Rolle die Bestandskund:innen bei euch im Digital Marketing spielen.
Sven Hasselmann: Wir haben einerseits kontinuierlich durchlaufende Marktforschung und eigentlich haben wir überall User Feedbacks.
Schahab Hosseiny: Wahrscheinlich ist der Incentive zu gering.
Sven Hasselmann: Das kann sein. Fairerweise muss ich sagen, dass die Messung der Zufriedenheit unserer Kund:innen nicht mein Core Business ist. Wir machen schon eine Menge, ich nehme deinen Impuls aber gerne auf, um darüber mit meinen Kolleg:innen zu diskutieren.
Mario Rose: Ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen, würde ich gerne daran anknüpfen. Dürft ihr die Datenpunkte in euren Zügen nutzen? Im ICE oder IC kann man sich einloggen und dann auf das WLAN zugreifen – ihr habt also täglich eine Vielzahl an Log-ins. Könnt ihr darüber Kund:innen identifizieren und diese Web-Sessions für euer Marketing nutzen.
Sven Hasselmann: Bei uns wird Datenschutz nicht nur groß, sondern sehr großgeschrieben. Wir können also nur das nutzen, wofür wir eine Commission haben – und das tun wir auch. Unser Ziel besteht nicht darin, jede Informationen aus unseren Kund:innen herauszuquetschen und damit Geld zu verdienen.
„Wir nutzen die Informationen, die uns zur Verfügung stehen, nur dazu, die Journey zu verbessern und nicht für die Vermarktung.“
Wir haben das in der Vergangenheit anders gemacht und diese Praxis schließlich eingestellt, weil uns Datenschutz sehr wichtig ist. Deshalb ist das kein großer Kanal mehr.
Neue Kanäle planvoll erschließen
Mario Rose: Sprechen wir noch einmal über die Channels der Gen Z. In deinem Vortrag hast du gesagt, dass von dieser Generation durchschnittlich fünf soziale Netzwerke genutzt werden. Ich vermute, dass bei einem Großteil TikTok dabei ist. Was du nicht erwähnt hast, ist Snapchat – eine Plattform, die sich in Deutschland und dieser Generation gerade wieder sehr stark entwickelt. Die binden auch VR-Anwendungen ein und in dem Zusammenhang könnte ich mir ein Feature von der Deutschen Bahn vorstellen, in dem ich mir die Städte in VR anschauen kann, bevor ich tatsächlich hinreise. Habt ihr euch im Hinblick auf die Bewegtbildkompensationsstrategie schon mit Snap beschäftigt und zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?
Sven Hasselmann: Das Ergebnis hinsichtlich Snapchat steht noch aus. Die Erschließung eines neuen Mediums geht nämlich immer mit wirtschaftlichen Überlegungen einher. Wir haben zum Beispiel lange darüber diskutiert, ob wir einen YouTube-Channel aufbauen sollen. Wenn man den kreiert, ist der erst einmal richtig teuer. Die Qualität muss nämlich hervorragend sein und auch die Pandemie hat uns viel Geld gekostet, aktuell haben wir also enge Taschen. Wir müssen also sehr wirtschaftlich vorgehen und deswegen konzentrieren wir uns auf die bestehenden Kanäle. Aktuell loten wir aus, wie wir uns TikTok nähern können und wir testen auch, wie das ankommt, wie die User das aufnehmen und ob wir die richtige Kommunikation finden können. Meiner Ansicht nach bringt es nichts, auf TikTok oder Snapchat konzeptlos aktiv zu sein und das ist auch zu teuer. Deswegen erschließen wir diese Kanäle planvoll und im Zusammenspiel zwischen Vertrieb, Konzern, Fern- und Nahverkehr. Wir gehen also Schritt für Schritt vor, damit wir einen Wohlfühlfaktor auf beiden Seiten haben.
Schahab Hosseiny: Spielt bei euch also auch die ROI-Kalkulation (Return on Investment) eine Rolle, bevor ihr in neue Kanäle einsteigt? Im Social-Media-Bereich sind wir natürlich mit vielen soften Kennzahlen konfrontiert. Deswegen interessiert mich, wie eine ROI-Kalkulation etwa bei YouTube vonstattengeht. Wie gestaltet ihr diesen iterativen Prozess?
Sven Hasselmann: Für die Performance-Kanäle haben wir ein gutes Controlling aufgebaut und aktuell sind wir dabei, das auf den Content-Bereich zu erweitern. Bei Social Media sind wir noch nicht so weit, dass wir harte KPIs (Key Performance Indicator) aufweisen können – daran arbeiten wir noch. Wenn wir ein neues Medium erschließen möchten, schauen wir uns zunächst die Erstellungskosten an. Bei YouTube haben wir etwa kalkuliert, was das kosten würde, wenn man das ordentlich macht – dieses Investment war schon außerhalb unserer Möglichkeiten. Bei TikTok haben wir kleine Versuche gemacht, die recht gut gelaufen sind. Die Zahlen sind allerdings nicht hart genug, um eine Entscheidung auf dieser Basis treffen zu können. Umso schwieriger ist es, dafür Geld vom Vorstand zu bekommen, wenn man keine ordentliche Refinanzierung hat.
Schahab Hosseiny: Stakeholder-Management.
Sven Hasselmann: Richtig.
Mario Rose: Wir haben noch eine Frage aus Slido zu eurem Inhouse-Social-Media-Team, Sven. Wie viele Menschen arbeiten bei euch in dem Bereich, arbeitet ihr mit Agenturen zusammen und wenn ja, in welchen Fachbereichen?
Sven Hasselmann: Ja, wir arbeiten mit Agenturen zusammen. Wie groß unser Social-Media-Team ist, kann ich nicht genau sagen, weil das sehr dezentral aufgebaut ist. Im Fernverkehr sind sieben Personen dabei, es gibt aber auch in diesem Bereich externe Unterstützer:innen. Wir arbeiten außerdem mit einer externen Agentur aus Berlin zusammen. Das ist also ein Zusammenspiel aus mehreren Menschen, die einen tollen Job machen.
Mario Rose: Wunderbar, dann belassen wir es dabei. Herzlichen Dank und wir freuen uns schon auf viele mutige Kampagnen der Deutschen Bahn.
Sven Hasselmann: Vielen Dank.
Hat dir der Beitrag von Sven Hasselmann gefallen? Dann erfahre hier von Jan Müller, wie Snapchat ein bullisches Wachstum hinlegt und erneut angreift.